Der merkwürdige ORF-Bericht, der gesperrte Steg, die einsame Superyacht: Mediterrane Wochenschau CCXII

Hier kommt der einzige Newsletter, der mal was richtigstellen muss – und über den umstrittenen ORF-Beitrag reden wir auch gleich.

Wir kennen ja alle die Bilder der überfüllten Adriastrände, denn meine Kolleginnen und Kollegen im Journalismus machen es sich gern leicht. Hier ist ein Foto aus Grado, Montag, 13 Uhr, zwischen Città Giardino und Pineta. 500 Meter feinster Sandstrand, völlig frei. 

Auch das ist Grado in der Hauptsaison.

Klar, dass es auch die vollen Sonnenschirmstrände gibt (an denen sich Italiener übrigens sehr wohl fühlen, auch wenn Bildredakteure aus Deutschland und Österreich das offenbar nicht begreifen können). Aber es gibt eben auch diese Seite von Grado, selbst bei Traumwetter und in der Hauptsaison.

Montag, 29. Juli

Wo wir gerade beim Journalismus sind: Ein aktueller Grado-Bericht des ORF sorgt für Aufregung und war tagelang das Gesprächsthema in der deutschsprachigen Grado-Gemeinde. Auf Facebook schimpften viele Grado-Fans darüber, für so einen »Müll« Rundfunkgebühren zahlen zu müssen. 

Zwei kurze Dinge zur Verteidigung, bevor wir den Beitrag zerpflücken. Klar, der Bericht »Mare & Amore: Paare, die nach Italien ziehen« war keine Werbung für Grado (oder Lignano). Aber das wollte er ja auch nicht sein. Viele der interviewten Personen kamen im Schlussbeitrag dann gar nicht mehr vor, was offenbar ebenfalls für Verstimmung sorgte, doch auch das ist Medienalltag.

Jetzt aber ans Eingemachte: Ob die Personen gut ausgewählt wurden? Die Dame aus Lignano jedenfalls ist im wahren Leben bestimmt ein Sonnenschein, aber bei ihren Lachanfällen aus dem Nichts hat es mich jedes Mal mehrere Zentimeter aus dem Sessel gehoben. Außerdem ist die Dame ja kein Paar gewesen, das nach Italien gezogen ist, sondern sie hat ihre große Liebe, einen Italiener, in Lignano kennengelernt und ist dageblieben. Die Protagonistin mit der meisten Sendezeit hat also den Titel der Sendung – »Paare, die nach Italien ziehen« – völlig verfehlt. Hat das der Journalist oder irgendjemand in der Redaktion gemerkt, oder waren alle schon im Geiste mit der Urlaubsplanung beschäftigt? Gab es in ganz Lignano kein einziges österreichisches Paar mit Zweitwohnsitz, das vor die Kamera wollte? Schwer vorstellbar.

Viele Szenen wirkten furchtbar gestellt, und in Lignano war am Drehtag auch noch das Wetter schlecht. (Und seien wir ehrlich: Lignano ist schon bei gutem Wetter nicht sehr fotogen.) 

Dann gab es handwerkliche Fehler. Ein Beispiel: Die Dame aus Lignano erzählt (lachend), dass der Italiener mit ihr per WhatsApp und Google Translate kommuniziert habe und dass dabei immer lustige Übersetzungsfehler passiert seien. 
Der Reporter fragt: »Zum Beispiel?«
Die Dame aus Lignano (lachend): »Ich weiß es nicht mehr.«
Wenn eine Rückfrage so brutal ins Nichts plumpst, dann schneidet man entweder die Rückfrage oder am besten noch die ganze Sequenz raus, bevor man wertvolle Sendezeit verschwendet.

Ja, das war alles ein bisschen lieblos und zudem ohne roten Faden, denn plötzlich ging es auch noch um die Wohnungsnot in Grado, und der einzige Satz, mit dem der arme neue Bürgermeister (was hatte der überhaupt mit dem Thema zu tun?) zu Wort kam, lautete, dass es Pläne gebe, Areale in der Nähe von Monfalcone aufzukaufen, um dort günstige Wohnungen für die Gradeser zu bauen. Ein sehr, sehr unglückliches Statement, das beinahe nach Zwangsumsiedlung klang. Dann kroch eine Schildkröte durchs Bild, und das war’s. Sagen wir mal so: Da wäre mehr drin gewesen.

Aber was Grado angeht, habt ihr ja mich.

Dienstag, 30. Juli

Der beliebte »Pennello«, der steinerne Steg zwischen Hauptstrand und Uferpromenade, ist seit dem November-Hochwasser nicht mehr zugänglich. Warum eigentlich nicht? 

Diese Absperrung wurde mit viel Liebe zusammengeklöppelt.

Weil es ein Problem der Zuständigkeiten (und damit der Geldtöpfe) gibt. »Nodo competenze« nennt sich das in Italien sehr anschaulich – Kompetenzknoten. Es fehlt zum Beispiel immer noch der Experte, der sich alles genauer anschaut und entscheidet, ob die Schäden nur oberflächlich oder doch strukturell sind. Einst war der Pennello der trubelige Mittelpunkt des Strandlebens, denn von hier legten die Wasserskifahrer ab; unter ihnen soll sich einmal auch Alain Delon befunden haben, wobei die Quellenlage da sehr dünn ist. (Sicher ist, dass Fürst Rainier von Monaco einmal die casoni in der Lagune besucht hat, um seine Ruhe zu haben, aber das ist eine andere Geschichte.)

Mittwoch, 31. Juli

Noch einmal zum Beinahe-Unglück der »Audace«, jenes Seelenverkäufers, der zwischen Grado und Triest hin- und herfuhr und beim ersten ernstzunehmenden Wellengang um ein Haar abgesoffen wäre: Ersatz ist in dieser Saison nicht mehr zu bekommen, die Schiffslinie fällt aus, was in Grado für Verstimmungen sorgt. Einer der hiesigen Funktionäre forderte todesmutig: »Das muss Konsequenzen haben!« Auch für Satzhülsen wie diese haben Italiener ein schönes Wort: »politichese« – Politikersprech.

Donnerstag, 1. August

Bleiben wir auf dem Meer: Da zieht sie ihre Bahnen am Horizont, die Superyacht A. Die modernste, größte, teuerste Segelyacht der Welt (143 Meter lang, acht Decks, 100 Meter hohe Masten, Baukosten 400 Millionen Euro) wurde 2022 von den italienischen Behörden beschlagnahmt, denn die Yacht gehörte einem russischen Oligarchen, der Wladimir Putin allzu nah steht. 

400 Millionen Euro grüßen euch aus der Ferne.

Und nun dümpelt die Segelyacht dumm im Golf von Triest rum und schaut auch oft vor der Küste Grados vorbei. Allein der Unterhalt der Yacht kostet den italienischen Staat etwa zehn Millionen Euro pro Jahr. Zum Tanken musste sie vor ein paar Tagen bis nach Venedig, und die Rechnung hätte ich gern gesehen.

Jedenfalls frage ich mich: Was geht da wohl an Bord ab? Wäre ich der staatlich bestellte Skipper, der die Yacht ein paar Mal pro Woche bewegen müsste, würde ich mir heimlich meine besten Kumpels an Bord holen und ein paar Stunden wie ein Milliardär leben – im Homekino, auf den Krokodilledersofas und den Jetskis, im gläsernen Mini-U-Boot und was sonst noch so an Bespaßung auf den acht Decks verteilt sein mag.

Als Letztes kommt hier ein aktuelles Foto vom Unwetter, das am heutigen Abend aufzog, fotografiert von meinem Lieblings-Aperitivo-Ort »Al Faro« am alten Strand.

Kein Filter, es sah wirklich übel aus.

Offenbar hat es keine größeren Schäden gegeben, aber für die Gastronomen sind diese verhagelten Abende immer äußerst anstrengend. Nächstes Mal mehr dazu.

Ich wünsche euch allen ein wunderbares, hagelfreies Wochenende!

Weil jetzt viele von euch im Auto unterwegs sind: Die Hörbücher Das Italien-Prinzip, Meine Bar in Italien und Die Spaghetti-vongole Tagebücher sind wirklich ein Genuss, gelesen von dem großartigen Hans Jürgen Stockerl, und sie verkürzen jede Fahrt. Da wird nicht mehr gequengelt!

Und wenn es mit dem Italienurlaub noch etwas dauert, dann holt euch Italien einfach nach Hause:

Foto von Rosi C. – danke dafür!

»Stefan Maiwalds Buch ist eine Fundgrube der Erinnerungen für alle, die in ihren frühen Jahren ihre Urlaube in Italien verbracht haben und die Italien bis heute nicht loslässt. Italien als Sehnsuchtsort, der noch viel mehr zu bieten hat als Sonne, Strand, Meer und fantastisches Essen. Die üppige Bebilderung dieses feinen Bandes ist die Einstiegsdroge, Maiwalds Texte machen endgültig süchtig. Sie lassen die Faszination dieses einzigartigen Landes spüren, seiner Kultur, seiner Menschen und nicht zuletzt: seiner Küche.« – Das schreibt die Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung. Danke! Das Buch gibt es in eurer Lieblingsbuchhandlung und gleich hier.

Meine Bücherseite ist (einigermaßen) aktualisiert, schaut doch mal vorbei.

Die Mediterrane Wochenschau von letzter Woche mit Bildern der Hagelschäden, Bud Spencer und Odysseus lest ihr hier.

Die Mediterrane Wochenschau von vorletzter Woche mit dem großen Stromausfall lest ihr hier.

Auf Instagram findet ihr mich unter @buch_und_wein. In der Story poste ich jeden Tag eine Kleinigkeit aus Grado (oder von dort, wo ich gerade unterwegs bin).

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Lesetermine
19. September: Westerwälder Literaturtage, Birkenhof-Brennerei, Nistertal
20. September: Bremen, Buchhandlung Lesumer Lesezeit
21. September: Osnabrück, Altstädter Bücherstuben
27. September: Klagenfurt, Buchhandlung Heyn – mit kulinarischer Begleitung

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