Hier kommt der einzige Newsletter, der gerade auf Lesereise 1700 Kilometer zurückgelegt hat und feststellen muss: Es gibt auch woanders schöne Ecken. Aber irgendwie gefällt mir Grado besser als woanders.

Montag, 16. September
Oh, das war eine schöne Überraschung! Der Nachrichtensender N-TV berichtete ausführlich über mein Buch »Italien – unsere Liebe«, was am nächsten Tag zu einer regelrechten Explosion der Verkaufszahlen führte. Zwischendurch war das Buch unter den Top 50 aller auf Amazon gehandelten Bücher, beliebtestes Kochbuch und beliebtestes Italien-Kochbuch, vor Jamie Oliver und Tim Mälzer!

Keine Ahnung, wie lange der Höhenflug anhält, aber ich habe meine 15 Minuten Ruhm als »Kochbuchautor« gehabt. (Wer mitkochen und sich dabei auf Zeitreise begeben will: hier entlang.)
Dienstag, 17. September
Grado ist in einer schweren Sinnkrise, und daran sind die Schulen schuld. Denn Grados Grund- und Mittelschulen werden mit jenen des Festlandsorts San Canzian d’Isonzo zusammengelegt, obwohl eine Kampagne in Grado 1620 Unterschriften gegen diese Entscheidung sammelte, eine stattliche Zahl für einen Ort mit 7600 Einwohnern; das wäre so, als würden mehr als zwei Millionen Österreicher eine Petition unterschreiben.
Wo ist das Problem? Die komplette Schulverwaltung zieht nach San Canzian d’Isonzo um, nur die Klassenräume bleiben in Grado, und die Insel, fürchtet man, muss erneut ein Stück Bedeutung ans Festland abgeben. »Bye-bye, identità« kommentierte jemand im Netz.
Grado und die terraferma, das ist nun mal keine Liebesbeziehung und war es auch nie. Grado ist stolz auf sein Inseldasein und fühlt sich, wenn überhaupt, eher Venedig verbunden als dem Friaul. Die Gradeser pflegen ihre eigene Kultur und ihren eigenen Dialekt, der mit der friulanischen Sprache überhaupt nichts zu tun hat (und tatsächlich dem Venezianischen ähnelt) – kurzum: Ein Gradeser würde sich niemals als Friulaner bezeichnen.

Wie so oft in Italien sieht man das sehr schön beim Fußball, denn nur ganz wenige Gradeser halten zu dem Fußballverein Udinese Calcio, dabei ist der doch der einzige weit und breit, der seit Jahren in der Serie A spielt (und der beim Schreiben dieser Zeilen sogar auf Platz 1 der Tabelle steht!) und es drei Mal in die Champions League schaffte. Und wenn der Ortsverein Gradese Calcio – der in diesem Sommer kurz vor der Auflösung stand und glücklicherweise im letzten Augenblick gerettet wurde – gegen Aquileia antritt, dann herrscht Derbystimmung.
San Canzian d’Isonzo also. Ein Ort, der auch noch weniger Einwohner hat als Grado. Was hat sich die Region bloß dabei gedacht? Natürlich stand dahinter die Idee, Bürokratie und Verwaltung zu verschlanken, was ja erstmal gut gedacht ist. Aber wie so oft ist gut gedacht selten gut. Die Gradeser sind mächtig sauer.

Besonders bizarr, auch wenn es die Schulkinder freuen wird: Grado erbt gewissermaßen nun auch die Madonna della Salute, die Schutzpatronin San Canzians; die Kleinen werden also am 21. November schulfrei haben.
Wie wird die Zusammenlegung praktisch aussehen? Müssen die Mütter und Väter jetzt für jedes Attest, jede Entschuldigung, jedes Gespräch mit der Schulleiterin nach San Canzian d’Isonzo fahren?
Für uns Grado-Liebhaber ist die Fahrt über den fünf Kilometer langen Autodamm, der Grado mit dem Festland verbindet, ein kleiner Höhepunkt und beinahe schon Teil des Urlaubs selbst. Viele öffnen bei voller Fahrt das Fenster und genießen freudig die salzige Lagunenluft. So mancher Gradeser dürfte in den nächsten Wochen aber auf dem Weg aufs Festland und zurück eher ins Lenkrad beißen.
Mittwoch, 18. September
Wie angekündigt: Reden wir über den Lärm. Auf den Social-Media-Kanälen wurde heftig diskutiert, und auch mich erreichten viele Zuschriften von Leserinnen und Lesern.
Denn es gab in diesem Jahr jede Menge Konzerte in Grado, viele davon im Parco delle Rose, dazu kamen der Sommerkarneval und natürlich die langen Nächte in den Beach Clubs. »Will Grado etwa das neue Lignano werden?«, fragte ein Leser.
Ihr kennt mich inzwischen: Ich bin ebenfalls ein Mann der Stille. Ich sitze in Trattorien im Sommertrubel am liebsten innen und in der Ecke. In Bad Kleinkirchheim gehe ich gern in die Einkehr, nur nicht am Mittwoch, da läuft immer ein Mann mit Akkordeon durchs Lokal und stimmt zünftige Lieder an. Eventgastronomie ist mir ein Graus, auf Konzerte gehe ich nicht, und ich würde lieber ein Riedel-Rotweinglas zerkauen, bevor ich beim Sommerkarneval mittanze.
Aber: Viele Gradeser schätzen die Konzerte, und manche Touristen eben auch. Gradeser sind sogar stolz auf so manchen großen Namen, und Ruhe haben sie in der Nebensaison genug. Die Touristik-Verantwortlichen wollen junge Reisende nach Grado locken, denn die sind nun mal die Grado-Fans von morgen.; sie wollen, dass Grado lebendig bleibt und den Gästen etwas bietet. Und die Gradeser Eltern wollen, dass ihre Kinder nicht am Wochenende nach Lignano oder Jesolo fahren müssen. Ich bin ja selbst Vater; meine Töchter freuen sich ebenfalls über so manche kleine TV-Berühmtheit, die nach Grado kommt.
Es ist also, wie so oft im Leben, ein komplexes Thema.

Aber es gibt für alles eine Lösung, auch für komplexe Themen. Denn eines stimmt: Der Parco delle Rose ist für Konzerte einfach ungeeignet. Die Veranstaltungsbühne steht fünfzig Meter Luftlinie von mehreren Hotels entfernt, das ist tatsächlich viel zu nah, und ich kann jeden Gast verstehen, der nachts im Zimmer verzweifelt die Decke anstarrt.
Ein kluger Veranstaltungsmanager schlug vor, die Konzertbühne des Parco delle Rose auf dem Parkplatzareal aufzubauen, dreihundert Meter weiter, zwischen den alten Kuranlagen und dem Tennisclub. Da gibt es keine Hotels oder Wohnungen in unmittelbarer Nähe, und das wäre schon mal eine kleine Hilfe.
Aber wir können auch größer denken. Früher kamen ja die Superstars nach Grado, etwa Eros Ramazzotti. Viele von ihnen spielten in Grado ihr sogenanntes »nulltes Konzert« – eine Art Testlauf vor dem eigentlichen Beginn der Tournee, wo Dinge geprobt und Abläufe einstudiert werden. Das war immer ein großes Erlebnis. Und das Wichtigste: Diese Konzerte fanden im Fußballstadion auf der Isola della Schiusa statt, ein perfekt geeigneter Ort.
Das Problem ist, dass das Stadion baufällig ist. Hier ist ganz konkret die Politik gefordert: Richtet endlich das Stadion wieder her oder baut, wie geplant, ein neues Stadion in Grado Pineta, auf dem riesigen Parkareal neben der Sporthalle. Fußballstadien sind auf der ganzen Welt perfekt für Konzerte geeignet. Das wäre ein idealer Kompromiss, um beide Seiten, die Event-Fans und die Stille-Fans, glücklich zu machen.

Und wenn sich dann noch jemand darum kümmert, dass die gesetzlichen Ruhezeiten eingehalten werden, wären wir doch alle glücklich. Und wenn dann noch endlich die Thermen gebaut werden – aber verlangen wir nicht zu viel.
Donnerstag, 19. September
Oh, das ist eine feine Sache: Band III der »Porzellanmanufaktur« erscheint in diesen Tagen – es geht unter anderem nach München in die wilden 1960er-Jahre, ihr werdet viele Fernsehstars treffen, an die ihr euch noch gut erinnert, und ganz viel Italien ist dabei, wie könnte es auch anders sein?
Falls ihr noch nicht dabei seid: Holt euch noch schnell Band 1 und Band 2.
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Hier steht eine sehr nette Besprechung meiner Lesung am 14. September, der ersten Veranstaltung zu Beginn der September-Lesereise. (Sozusagen mein »nulltes Konzert«.) Ein gutes Omen, danke sehr.
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Ich wünsche euch allen ein wunderbares Wochenende.
Die Mediterrane Wochenschau von letzter Woche mit dem Liegenklau lest ihr hier.
Die Mediterrane Wochenschau von vorletzter Woche mit dem vermeintlichen (oder tatsächlichen?) Urlauber-Rückgang lest ihr hier.
Auf Instagram findet ihr mich unter @buch_und_wein. In der Story poste ich jeden Tag eine Kleinigkeit aus Grado (oder von dort, wo ich gerade unterwegs bin).
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Die nächsten Lesetermine
20. September: Bremen, Buchhandlung Lesumer Lesezeit
21. September: Osnabrück, Altstädter Bücherstuben
27. September: Klagenfurt, Buchhandlung Heyn – mit kulinarischer Begleitung
28. November: Innsbruck, Tyrolia/Vinothek Gottardi
[…] Die Mediterrane Wochenschau von letzter Woche mit dem Disko-Dilemma lest ihr hier. […]
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