Pizza Hawaii, gefallene Hüllen, Sonnenuhren, glückliche Eltern: Mediterrane Wochenschau CCII

Hier kommt der einzige Newsletter, der sich auf den nächsten »Aperitivo mit dem Autor« freut! Der Termin: 21. Juni um elf Uhr im Strandkiosk Al Faro am alten Strand, genau zum Sommeranfang – auch wenn Meteorologen behaupten, der eigentliche Sommeranfang sei in diesem Jahr schon ein paar Stunden zuvor, nämlich am 20. Juni um 22.50 Uhr. Aber diese Details schrecken uns nicht.

Und noch etwas: Ich bekam besorgte Zuschriften, ob Grado das dramatische Unwetter überstanden hätte. Welches Unwetter? Naja, es hatte halt kräftig geregnet. Passiert war überhaupt nichts, jedenfalls nicht hier an der Küste; ich weiß nicht, was die Medien berichtet haben. Die Regenfälle haben im Veneto und auch im Friaul tatsächlich ein paar Flüsse anschwellen und ein paar Keller volllaufen lassen. Aber dramatisch ist in der heutigen Zeit doch wirklich was anderes.

Pfingstsamstag, 18. Mai

Offizielle Saisoneröffnung! Seit heute spannen wir die Schirme auf und drehen die nagelneuen Liegen in Richtung Sonne. (Vorsicht, klemmt euch nicht die Finger – lasst euch den Mechanismus der Rückenlehne von einem Bagnino erklären.) Aber wo blieben an jenem sonnigen Traumtag bloß die Gäste? Die standen wahrscheinlich noch vor dem Tauerntunnel im 28-Kilometer-Stau.

Saisonauftakt nach Maß. Bloß einsam war’s.

Am Pfingstsonntag war der Strand dann aber bestens besucht. Jede Wette, dass in den Medien bald vermeintliche Schreckensbilder von überfüllten Adria-Stränden auftauchen, wie es jeden Sommer Ritual ist, aber Italiener wollen es genau so: eng und voller Leben. Die romantische Vorstellung von einsamen Badebuchten, die im deutschsprachigen Raum vorherrscht, existiert in Italien nicht. Italiener wollen am Strand Trubel, Service und eine Bar mit Eis, mit gekühlten Getränken und vernünftiger Siebträgermaschine für guten Kaffee.

Pfingstsonntag, 19. Mai

Wo wir gerade beim Genuss sind: Am Abend saß ich in meiner Lieblingspizzeria Delfino Blu etwas außerhalb vom Ortskern, ein österreichischer Vater kam mit seinem etwa zehnjährigen Sohn rein und belegte den Tisch rechts von mir. Beide ließen ihre Handys in der Tasche, was mir schon mal gut gefiel, im Gegensatz zu der sonnenverbrannten österreichischen Kleinfamilie links von mir, deren fünfjähriger Sohn auf dem Handy in voller Lautstärke irgendeinen Kinderquatsch schaute, damit Mami und Papi ihre Ruhe hatten – eine Unsitte, die sich, unabhängig von der Nationalität, immer mehr verbreitet.

Jedenfalls: Der handylose Vater rechts von mir fragte ganz schüchtern nach einer Pizza mit Schinken und Ananas, und die italienische Bedienung reagierte genau so, wie es zu erwarten war. »Sowas machen wir hier nicht«, antwortete sie. 

Die Pizza Ananas (auf vielen Karten »Pizza Hawaii«) ist ein kulturelles Phänomen geworden. Alle, die etwas auf sich halten, schimpfen über sie, als sei sie der Gipfel der Barbarei. Dabei ist sie ja nicht viel anders als die seit Jahrzehnten beliebte (wenn auch heute etwas außer Mode geratene) italienische Vorspeise prosciutto e melone, roher Schinken mit Honigmelone. Warum also nicht Pizza Ananas? Weil die Italiener ihre Nationalheiligtümer gern für unantastbar halten. Dabei sind viele der vermeintlich uralten, traditionellen italienischen Gerichte in ihrer heutigen Form allenfalls ein paar Jahrzehnte alt, dazu gehören beispielsweise das Pesto, die Carbonara-Pasta und das Tiramisù. Selbst der Espresso stammt erst aus dem Jahr 1946 und ist damit jünger als Mick Jagger. Hier noch ein Verweis auf die in Italien heftig geführte Spaghetti-vongole-Diskussion zu Beginn des Jahres.

Außerdem habe ich einige Eltern sehr glücklich gemacht und von Gewissensbissen befreit, indem ich hier vor einigen Monaten schrieb, dass auch die kleinen Italienerinnen und Italiener bevorzugt Pizza Würstel essen, sogar der Sohn meines neapolitanischen Kumpels.

Dienstag, 21. Mai

Die Hüllen sind gefallen! Das Hotel Adria, einst das erste Haus am Platz, hat sich des Baugerüsts entledigt. Bis zur Neueröffnung wird es aber noch dauern, die Fenster sind nach wie vor vernagelt.

Zur Saison 2024 reicht es vermutlich noch nicht.

Mittwoch, 22. Mai

Heute war der Auftakt der zweiten Lesereise; den Beginn machte meine Heimatstadt Braunschweig. Neunzig Gäste kamen, obwohl die Lesung saftige 18 Euro Eintritt kostete, und Wein gab es auch keinen – außer für die Quiz-Gewinnerin meiner Italien-Fragen. Das Ratespiel kommt immer großartig an und wird fortan Teil jeder Lesung sein. Macht euch auf wirklich überraschende, verblüffende Fragen gefasst. Wir hatten viel Spaß, danke euch allen! Im Publikum war auch eine Dame aus Selb, die von der »Porzellanmanufaktur« völlig begeistert war und ganz viele Orte wiedererkannt hatte. (Die Familiensaga spielt ganz wesentlich in der fränkischen Grenzstadt Selb.) Besser kann es bei einer Lesung nicht laufen.

Donnerstag, 23. Mai

Kunstprojekt in der Lagune: Auf der Insel Mota Scafon, die auch das Pasolini-Museum beherbergt (hier hat er einige Szenen von »Medea« mit Maria Callas gedreht) wurden zwei Sonnenuhren installiert, die ersten überhaupt in der Lagune. Eine zeigt die sogenannte »venezianische Zeit«, bei der die 24. Stunde mit dem Sonnenuntergang zusammenfällt, und eine zeigt die »habsburgische Zeit« mit der 24 auf Mitternacht, wie es heute üblich ist. (Nicht, dass eine Sonnenuhr die Nachtzeit anzeigen kann, aber die Ziffern sind entsprechend angeordnet.) Die venezianische Zeit richtete sich nach den Fischern, denn für sie war der Tag mit Sonnenuntergang beendet.

Außerdem treffen heute Abend erstmals die drei Kandidaten zum Bürgermeisteramt aufeinander: Im Hotel Astoria wird es rund gehen, ich berichte nächste Woche!

Euch allen ein wunderbares Wochenende, genießt die Zeit. Wenn ihr in Grado seid, schaut beim Tennisturnier vorbei, Samstag sind die Semifinals, Sonntag um 15.30 Uhr ist das Finale; der Eintritt ist frei.

Wenn euch Spaghetti vongole fehlen, dann rasch hier entlang, Band 2 der Familiensaga gibt es hier. Und in zwei Wochen erwartet euch das.

Auf Instagram findet ihr mich unter @buch_und_wein, schaut vorbei. In der Story poste ich jeden Tag eine Kleinigkeit aus Grado (oder von dort, wo ich gerade unterwegs bin).

Die Mediterrane Wochenschau von letzter Woche mit meiner ersten Begegnung mit dem kommissarischen Bürgermeister lest ihr hier.

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Die Lesetermine
27. Mai: München, Buchhandlung Singer – La Grande Nachholung*, ab 16 Uhr
28. Mai: Judenburg, Buchhandlung Morawa
29. Mai: Leoben, Buchhandlung Morawa
19. Juni (Achtung, verschobener Termin): St. Veit, Buchhandlung Besold
21. Juni: Aperitivo mit dem Autor, Grado (weitere Termine gebe ich hier kurzfristig bekannt)
19. September: Westerwälder Literaturtage, Birkenhof-Brennerei, Nistertal
20. September: Bremen, Buchhandlung Lesumer Lesezeit
27. September: Klagenfurt, Buchhandlung Heyn


* keine Lesung, sondern gemeinsames Prosecco- und Weintrinken, bei schönem Wetter im Garten (16 bis 18 Uhr). Ja, eine Buchhandlung mit Garten! Kommt vorbei, wird lustig.

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