»In den dreißig Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut, aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, fünfhundert Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!«
– Orson Welles, »Der dritte Mann«
(Und nicht einmal die Kuckucksuhr ist eine Schweizer Erfindung.)
Es sind immer Einzelne, die Italien nach vorn bringen – im Großen wie im Kleinen. Staatliche Behörden werden hierzulande nie so gut funktionieren wie anderswo; kreative Impulse gehen immer von Individuen aus, die in Eigeninitiative die tollsten Dinge auf die Beine stellen.

Damit herzlich willkommen zur Mediterranen Wochenschau XXII, dem einzigen Newsletter, der Rotwein zum Fisch trinkt! (Mehr dazu weiter unten.)
Dieses Mal geht es nur um ein Thema, nämlich den Zauber der Lagune von Grado.

Ich habe viele Jahre Urlaub in Grado gemacht, ohne je von der Lagune gewusst zu haben. Hätte ich nicht in eine hier ansässige Familie eingeheiratet, wüsste ich vielleicht immer noch nichts von ihr.
Dabei ist sie unvergleichlich, und ganz bestimmt ist diese Landschaft in ihrer Ausdehnung und Vielfalt einmalig in Europa.
Also kam der Musiker und Künstler Giorgio Tortora auf die Idee, die Lagune in sein neues Konzertprojekt miteinzubeziehen. »In der heutigen Zeit geht es darum, Kunst für wenige und nicht für viele zu machen, Konzerte im ganz kleinen Kreis.« Also rief er zwei seiner Freunde an, die Pianistin Mariarosa Pozzi und den Cellisten Antonio Galligioni – habt ihr Lust, in der Lagune ein kleines Konzert zu geben? Hatten sie. Dann rief er seinen Kumpel Roberto Camuffo an, den besten Koch in Grado – hast du Lust, in der Lagune zu kochen? Im Valle del Moro? Für fünfzehn, zwanzig Gäste? Hatte er.
Und schon war die Initiative Laguna Incantata (»verzauberte Lagune«) geboren. Der Schriftsteller und Weinexperte Stefano Cosma kam auch noch hinzu, um etwas über die friulanische Weingeschichte zu erzählen. Die Fotos machte, wenn nicht anders vermerkt, Sergio Joan.



Roberto zauberte allen Gästen ein Boreto in zwei Variationen – einmal klassisch und einmal mit Paccheri, dicken kurzen Röhrennudeln. Das Boreto ist eine Gradeser Spezialität, die schon dem New Yorker einen Artikel wert war. Die Gradeser Fischer bereiteten es einst noch auf dem Boot oder daheim aus jenen Fischen zu, die sie nicht auf dem Markt verkaufen konnten, weil sie zu klein oder vom Netz zerrissen worden waren.


Das Rezept: Stücke von Seebarsch, Scholle, Goldbrasse oder was auch immer gerade Saison hat, werden mit Öl und Knoblauch in der Pfanne geschwenkt, mit Weinessig verfeinert und mit Polenta serviert. Neben Salz gehört eine ordentliche Prise Pfeffer unbedingt dazu. Und: Es ist eine der wenigen Fischspezialitäten, zu denen traditionell Rotwein gereicht wird, ideal passt Merlot.






In welchem Restaurant kocht Roberto? In keinem – das wäre ihm viel zu eindimensional; als Künstler will er ungebunden sein. Allerdings berät er zwei Gradeser Restaurants und packt in der Hochsaison immer mal wieder mit an, nämlich im Pontil de Tripoli auf der Isola della Schiusa und bei Laura e Christian – Spaghetti House in der Altstadt.


Selbst echte Grado-Kenner erfahren an solchen zauberhaften Tagen immer etwas Neues. Wusstet ihr zum Beispiel, dass zu den Zeiten der k.u.k-Sommerfrischler auf den Menüs der Gradeser Restaurants kein Fisch stand, keine Spaghetti vongole und erst recht nicht das Arme-Leute-Essen Boreto? Nein, die Adligen aus Wien wollten edlere Gerichte gereicht bekommen – insbesondere selvaggina, also Wild. Gut, dass die Lagune reichlich Enten, Gänse und Rehe hergab.
Moment mal, Rehe? Ja, in der Lagune leben tatsächlich Rehe. Mitunter schwimmen sie von Insel zu Insel.

Laguna Incantata – das solltet ihr euch merken. Gibt es eine Webseite? Einen Instagram-Kanal? Natürlich nicht, auch das ist Italien. Wer Einzelheiten wissen will, kann mir aber gern schreiben, ich leite es weiter; außerdem berichte ich hier hier über diese wunderbare Initiative.
Wir sehen uns in der Lagune!
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Mein neuer Krimi – dieses Mal geht es in die Berge!
Die nächste Mediterrane Wochenschau erscheint am 9. Oktober. Ich freue mich – bis dann!