Das Stahlwerk, die verschwundene Leiche und der Cappuccino mit Schlag: Mediterrane Wochenschau CLXVIII

Hier kommt der einzige Newsletter, der zum ersten Mal seit zwanzig Jahren gefragt wurde, ob er den Cappuccino mit Milchschaum oder mit Schlag haben will. Danke, wunderbares Villach!

Ehrlicher Schaum in Villachs Altstadt.

Übrigens: Deutsche aus dem Norden erkennt ihr daran, dass sie Villach »Willach« aussprechen. Ich wurde vor ein paar Jahren von einer Fillacherin dafür gerügt; seitdem betone ich es immer besonders korrekt. 

Montag, 11. September

Kurzer Halt in Bad Kleinkirchheim. Also, ihr Lieben, wenn der Spätsommer so richtig mitspielt und die Sonnenstrahlen durch die Baumwipfel fallen, dann gibt es doch keinen schöneren Ort als die Berge. Oder sagen wir: Hier ist es wirklich genau so zauberhaft wie am Meer. 

Der Gladiator nähert sich der Arena.

Zu schade, dass ich mir den Tag mit einem Sport verderbe, von dem ich finde, ich müsste darin eigentlich viel, viel besser sein. Aber ich lerne, mich in Demut zu üben.

Dienstag, 12. September

Zurück ans Meer. Das folgende Thema ist eigentlich viel zu komplex für unseren kleinen Wohlfühl-Blog, aber auch in der famiglia muss man ja manchmal die unangenehmen Themen ansprechen.

Es geht um das geplante Stahlwerk bei der Lagune von Marano, und ich versuche, das Thema so knapp und dabei so umfassend wie möglich anzugehen. Dann seid ihr auf dem neuesten Stand.

Zwei wichtige Dinge vorab. Erstens: Ein neues Gesetz, in der Presse »Artikel 13« genannt, sieht vor, dass die Regierung Investitionen ausländischer Geldgeber in Fällen von übergeordneter Bedeutung fürs Land gegen jeden Widerstand durchdrücken kann, sofern die Investitionen über eine Milliarde Euro hoch sind. Das Gesetz soll am 7. Oktober im römischen Parlament ratifiziert werden. Zweitens: Nach Russlands Überfall auf die Ukraine gehört das Stahlwerk in Mariupol zu einem der meistumkämpften Kriegsziele. Der ukrainische Besitzer des Stahlwerks hat nun den Plan, mit seiner Firma Metinvest im sicheren EU-Raum zu investieren. Und er hat sich die Lagune von Marano ausgesucht. »Oligarchen-Stahlwerk«, wie es in der Presse heißt, trifft es aber nicht ganz, denn an dem geplanten Stahlwerk ist auch Danieli beteiligt, der größte (und sehr geschätzte) Arbeitgeber im Friaul. Dass Stahl nicht nur für Kanonenrohre benötigt wird, sondern auch für Häuser, Straßen, Brücken, Maschinen, Motoren, Boote, Strommasten, medizinisches und landwirtschaftliches Gerät – kurzum: für fast alles, was im modernen Leben wichtig ist –, muss ich ja nicht betonen. Und die Idee, dass die EU möglichst unabhängig von Importen wichtiger Rohmaterialien aus Staaten wie Russland oder China werden soll, ist ja auch erst einmal nicht schlecht.

Die Protestwelle ist dennoch gewaltig. Die Firma beteuert, es werde »grüner Stahl« sein, der mit neuesten, umweltfreundlichen Technologien produziert wird. Aber was ist mit den Transporten, den vielen LKW, den großen Schiffen? Wir Touristen fänden eine Industrieansiedlung natürlich ganz furchtbar, und das auch noch so nah an einem Naturschutzgebiet, nicht weit von der Lagune von Grado. Die meisten Einheimischen finden das auch schlimm. Aber manche eben nicht. »Wir können nicht unser Leben lang Kellner bleiben«, schreibt ein Italiener, der auf neue, gut bezahlte Arbeitsplätze hofft.

Wie gesagt, ein komplexes Thema, das allerdings vorerst erledigt scheint. Denn sowohl Metinvest als auch die Regionalregierung haben versichert, dass das Stahlwerk nicht kommen wird. Pikante Pointe: Massimiliano Fedriga, der Präsident der Region und ein blutjunger und talentierter Politik-Aufsteiger, war zunächst für das Stahlwerk, aber als er den Gegenwind spürte, solidarisierte er sich mit den Gegnern. Dabei ist es seine Partei, die »Artikel 13« unbedingt durchboxen will…

Viele Italiener trauen dem Frieden allerdings nicht und bleiben wachsam. Dieser Blog tut es auch und wird euch über alle neuen Entwicklungen informieren. 

Jetzt wisst ihr alles, was ihr wissen müsst. Und nun zurück auf unsere kleine Wohlfühlinsel.

Mittwoch, 13. September

Schreckminuten am Hauptstrand: Eine österreichische Tretbootfahrerin behauptete steif und fest, eine Leiche im Wasser gesichtet zu haben. Die Rettungsschwimmer alarmierten die Küstenwache. Nachdem der Hubschrauber eine halbe Stunde lang spektakulär tiefe Runden über den Badenden gedreht hatte, gab es Entwarnung: keine Leiche. Was war es dann? Gefunden hat die Küstenwache nichts. Aber die Kinder freuten sich über den Hubschrauber, der zum Greifen nah schien.

Das geschah schon vor ein paar Tagen, doch just heute Nachmittag ist tatsächlich eine österreichische Urlauberin ertrunken; es ist schon der dritte Fall in Grado in diesem Jahr. Alle Wiederbelebungsversuche waren vergeblich. Manche behaupten, das kühle Frühjahr habe zu veränderten Strömungen im Meer geführt. Andere sagen, dass solche Unglücke bei zehntausenden Urlaubern oft älterer Semester mehr oder weniger im Rahmen der statistischen Wahrscheinlichkeit seien – Herzinfarkte passierten nun mal. Wie auch immer, tragisch ist jeder einzelne Fall. Und falls hier die Angehörigen mitlesen, was ja nicht unwahrscheinlich ist: mein Beileid.

Donnerstag, 14. September

Der alte Seelenverkäufer, der die Linie Grado-Triest bediente, hat sich ja als nicht hochseetauglich herausgestellt. Er sollte durch ein neues Schiff ersetzt werden, das im Juni in Dienst gestellt werden sollte. Dann im Juli. Dann im August. Jetzt aber ganz bestimmt Mitte September. Na, wir lassen uns überraschen. Hochseetauglich sieht das neue Schiff übrigens auch nicht gerade aus. Sagen die Gradeser. Und von Schiffen verstehen die ja was.

Freitag, 15. September

Eine schöne Musikuntermalung zum Wochenende von Leser Oliver: Das entspannende Lied »Toscana Fanboys« mit Peter Fox und dem unvergleichlichen Adriano Celentano. Sehr angenehm zu hören!

Und noch ein bisschen Beifang: Bei Thalia am Hauptplatz von Villach gibt es ein paar signierte Exemplare von »Meine Bar in Italien«.

Fundstück im Netz: Warum ist mir früher in der Disco dieser Satz nie eingefallen?

Entdeckt bei @books.in.films.

Und noch ein Fundstück über die Butter-Olivenöl-Verteilung in Europa.

Entdeckt bei Terrible Maps.

Schon die alten Römer zogen ja in der Emilia-Romagna die Grenze zwischen den Butter-Barbaren des Nordens und den feinen Olivenöl-Konsumenten des Südens. Und die Emilianer? Benutzen bis heute unbekümmert beides gern und vereinen so das Beste aus beiden Welten.

Ich wünsche euch ein wunderbares Wochenende, bis nächsten Freitag!

Alles über »Meine Bar in Italien« lest ihr hier.

Zur letzten »Mediterranen Wochenschau« mit der Krabbe, die wir fleißig essen müssen, um die Adria zu retten, geht es hier entlang.

Der erste Band meiner Familiensaga erscheint rechtzeitig zu Weihnachten. Weiter geht es dann im Mai 2024 mit Band 2 und zu Weihnachten 2024 mit Band 3. Bestellt das Buch gern in eurer Lieblingsbuchhandlung oder hier vor.

Der Nachfolgeband von »Meine Bar in Italien« ist ebenfalls fertig und kommt im März – vielleicht kann ich euch schon in der nächsten Woche das sehr ungewöhnliche Cover zeigen.

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Auf Instagram gibt es mehr Italien unter @buch_und_wein.

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