Ein hungriger Papst

Papst Leo X. war der schillerndste Stellvertreter, der je sein (übrigens recht ausladendes) Gesäß auf den Heiligen Stuhl platzieren durfte. Er kam als Giovanni de’ Medici zur Welt, Sohn des großen Lorenzo des Prächtigen, der seinen Reichtum umsichtig nutzte und seine Kinder von Dichtern großziehen ließ. Giovanni war als Zweitgeborener für die kirchliche Laufbahn bestimmt und bekam schon mit sieben Jahren die Tonsur verpasst – als Trost erhielt er Pfründe aus Frankreich.

Dem herrschenden Papst Innozenz VIII. war der stinkreiche Jüngling unheimlich – über Innozenz kursierte in Rom übrigens der Spruch »Octo nocens pueros genuit, totidemque puellas; hunc merito poterit dicere Roma patrem«, »Acht Buben zeugte er unnütz, genauso viele Mädchen; wegen dieser Verdienste könnte er der Vater Roms genannt werden.« Der Kindermacher versuchte, Giovannis Karriere zu torpedieren, aber vergeblich: Der Medici-Spross wurde 1489 zum Kardinal ernannt – mit 13 Jahren.

Inzwischen war Julius II. Papst geworden, der den Grundstein für den Petersdom legte und die Schweizergarde begründete. Die Umtriebe des jungen Giovanni interessierten ihn nicht sonderlich, und als Julius 1513 starb, führte kein Weg an Giovanni de’ Medici vorbei: Mit 37 Jahren wurde er zum Papst gewählt.

Leos Leitspruch legte fest, wohin die Reise führen sollte: »Da Gott uns das Pontifikat verliehen hat, so lasst es uns denn genießen.« Was, vorsichtig ausgedrückt, eine gewisse Distanz zum Amt beweist. Und er ließ es krachen. Sein Hofnarr Baraballo begleitete ihn ständig und musste Prügel einstecken, wenn die Witze allzu flau wurden. Angeln und Jagen waren des Papstes Hobbys, aber seine wahre Passion galt dem Essen. Zeitgenössische Porträts zeigen einen Mann in gutem Futter – und das, obwohl die Maler ums Schmeicheln bemüht waren.

Gern flanierte Leo mit seinem Lieblingshaustier Hanno, einem Geschenk des Königs von Portugal, durch Rom. Hanno war ein indischer Elefant, und die beiden dicklichen Gestalten waren eine echte Attraktion. Leo stellte Hanno und sich selbst gern zur Schau, und Hanno zeigte unter seinem indischen Pfleger Mahut allerlei Tricks. Außerdem hielt Leo in seinem Privatzoo einen Bären, zwei dressierte Leoparden sowie ein Chamäleon.

Aus christlicher Sicht war Leo eine glatte Fehlbesetzung; so soll er den Satz geäußert haben: »Alle Welt weiß doch, wie viel uns diese Fabel von Jesus eingebracht hat.« Legendär aber waren seine Feste: Einmal lud er 3.000 Patrizier ein, die gesamte römische Oberschicht. Als die Gäste ihre Servietten aufschlugen, hüpften aus dem Tuch kleine Vögel, die benommen über die Tische taumelten, »sehr zum Amüsement aller«, wie ein Chronist vermerkte. 25 Gänge wurden aufgetischt, darunter gezuckerte Kapaune mit Goldüberzug sowie Pfauen, die man nach dem Braten wieder in ihr Federkleid steckte, so dass sie aufrecht stehend serviert wurden.

Das berühmteste Gericht war Hühnerbrust, gefüllt mit Trüffeln und Hackfleisch, in Butter sanft gebräunt und dann in Madeira-Wein getaucht, als Beilage kleingehackte Pilze und Makkaroni auf besondere Art: in Hühnerbrühe gekocht, in frisch geriebenem Parmesan gewendet und in Weißweinsauce aufgetragen.

Leo starb 46-jährig so überraschend, dass man bis heute einen Giftanschlag in französischem Auftrag vermutet. Dreizehn Jahre nach ihm kam sein Cousin Alessandro Farnese als Paul III. auf den Heiligen Stuhl. Er trug den Beinamen »della Gonella«, was sich ziemlich präzise mit »Schürzenjäger« übersetzen lässt.

Seine strategischen Überlegungen beinhalteten nicht die Erweiterung der klerikalen Macht, sondern das Unterbringen illegaler Sprösslinge in einflussreiche Positionen und das möglichst zügige Heranschaffen kulinarischer Spezialitäten aus allen Winkeln der bekannten Welt: Orangen aus Capodimonte, Wildbret aus Castro, Schweine von der Insel Bisentina im Bolsenasee sowie, aus ebenjenem See, die berühmten Aale. Die zwei besten Köche jener Zeit, Giovanni de Rosselli und Bartolomeo Scappi, waren in Pauls Diensten, zudem ein Sommelier namens Sante Lancerio, der auch als Chronist fungierte. Pauls Leibgericht, welches der Nachwelt dank des fleißig mitschreibenden Sommeliers erhalten blieb, waren Tortellini mit folgender Füllung: Hühnerfleisch, frische Pilze und Hühnerleber, gewürzt mit Pfeffer und Muskat.

Eine gewagte Theorie: Der Siegeszug der Nudel in Italien hatte auch damit zu tun, dass es dort in der Renaissance so unfassbar viele schwerreiche alte Leute gab, deren Gebiss es nicht mehr gestattete, die Zähne herzhaft ins Wildbret zu schlagen. Also standen Köche hoch im Kurs, die Speisen »weich« und leicht zu kauen fabrizieren konnten. Tortellini mit durchgequirlter Fleischfüllung sind vielleicht nicht das Gleiche wie ein Schweinebraten, aber immer noch besser als nur Suppe. Ohne elektrische Geräte war die Herstellung solcher zahnschonender Genüsse äußerst aufwendig, personalintensiv und damit teuer – aber als Papst, Fürst oder Medici musste sich niemand Sorgen um zur Neige gehende Golddukaten machen.