Wie ich einmal zum unbeliebtesten Menschen der toskanischen Küste wurde

Habt ihr es auch gespürt? Wahrscheinlich nicht. Aber in der letzten Woche habe ich in meinem kleinen Wohlfühltempel Grado ein Erdbeben ausgelöst. In jedem Fall hat es mächtig geknistert. Und in Forte dei Marmi, einem 400 Kilometer entfernt liegenden Urlaubsort der Provinz Lucca an der tyrrhenischen Küste, war die Aufregung mindestens genau so groß.

Eigentlich wollte ich nur in der Toskana urlauben. Wobei es Urlaub für uns Lohnschreiber ja nicht gibt, ich habe schließlich ein paar Bücher über die Toskana geschrieben, die es in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren gilt.

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Links: Alleinautor. Rechts: Überarbeiter.

Und weil es verdammt heiß war und jede Michelangelo-Skulptur bei 38 Grad in der Sonne ihren Charme verliert, habe ich zwei Nächte in Forte dei Marmi eingeschoben. Das ist ein Urlaubsort, wie man ihn haben will. Strandclubs, Gockel aus Mailand, pesce crudo, die volle Portion dolce vita.

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Forte dei Marmi: Aushilfs-Bademeister Maiwald bringt der Ehefrau die Handtücher.

Dann fiel mir an der Uferpromenade ein Plakat auf, dessen Illustration mir sehr bekannt vorkam.

Als ich nach Hause kam, habe ich es auf Instagram und Facebook gepostet, mit dem Original links. Mario Puppo, ein fantastischer Designer, hat die Illustration exklusiv für Grado geschaffen – und zwar schon im Jahr 1948. (Manche Quellen sagen 1949.)

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Original: links. Kopie: rechts.

Menschenskind, das war aber auch dreist. Nicht nur, dass kopiert wurde – nicht nur, dass schlecht kopiert wurde – nein, der Grafiker musste ja auch noch das eigene Kürzel druntersetzen.

Und voilà: Die Hölle brach los.

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SAMSTAG

Ein engagierter Bürger Grados fackelte nicht lange: Vinicio Patruno schrieb dem Bürgermeister Forte dei Marmis noch in der Nacht zum Samstag eine Mail.

Am Vormittag rief mich dann Antonio Boemo an, der örtliche Journalist des »Il Piccolo«. Ich erklärte ihm, wie ich die Sache entdeckt hatte. Ich dachte, es würde eine kleine Meldung werden.

SONNTAG

Die Geschichte erschien im »Il Piccolo«. Nicht gerade eine kleine Meldung:

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Für Gesprächsstoff in den Bars war gesorgt.

Überraschung: Bruno Murzi, der Bürgermeister Forte dei Marmis, antwortete noch am Wochenende Signor Patruno. Und der Bürgermeister redete nicht drumherum, er gestand das Plagiat, das ihm von einem Grafikbüro untergeschoben wurde. Er wolle sich auch persönlich bei den Gradeser Verantwortlichen entschuldigen. Okay, was sollte er auch sonst tun? Aber er verhielt sich bei all dem sehr anständig.

Unterdessen geriet der Bürgermeister Grados, Dario Raugna, unter Feuer. Hintergrund: Gleich bei Amtsantritt hatte er ein neues Logo für Grado entwickeln lassen, ein ziemlich krudes Ding, das sicher kein Zeug zum Klassiker hat. Hätte man, so der Vorwurf, die tolle Puppo-Illustration nicht einfach als offizielles Werbesymbol Grados lassen können? Einige Kommentatoren vermuteten auch, Forte dei Marmi hätte sich die Illustration nur unter den Nagel reißen können, weil Grado (sprich: der neue Bürgermeister) leichthin darauf verzichtet hatte.

MONTAG

Heftiges Rauschen im Blätterwald. »La Repubblica«, »Il Friuli« und sogar »Il Tirrenio«, die Tageszeitung Forte dei Marmis, griffen die Geschichte auf. Überall wurde mein Name erwähnt. Einmal wurde ich zum Österreicher gemacht. Naja, es gibt Schlimmeres.

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»Austriaco«! Einmal doppelte Staatsbürgerschaft, bitte. Dann hätte ich wenigstens im Winter was zum Bejubeln. 

DIENSTAG

Forte-Bürgermeister Bruno Murzi stellte unterdessen ein ausführliches Entschuldigungsvideo online.

Zudem besucht er am 27. Juli Grado, um sich noch einmal persönlich beim Bürgermeister zu entschuldigen. Er hofft, dass sich aus dem unglückseligen Fall eine neue Ära der Zusammenarbeit beider Badeorte ergeben könnte. Was beweist: Politiksprech kann er.

Ob ich zu dem Treffen eingeladen werde? Ich halte euch an dieser Stelle auf dem Laufenden.

MITTWOCH

Nun sind neue Plagiatsfälle aufgetaucht. Unter anderem hat eine Frauenzeitschrift ihr Sommerhoroskop mit Puppos Illustration verschönert:

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Jupiter bringt Glück und Reichtum, sagen die Sternendeuter.

DONNERSTAG

Und weiter geht’s: Auch ein nobler Beach Club in Dubai benutzt Puppos Illustration.

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Wer noch was weiß oder gesehen hat – ihr wisst ja, wie ihr mich erreichen könnt.

Diese Geschichte wird regelmäßig aktualisiert.

Zur Erinnerung: Das ist das Original.

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Bildschön. The End.