Venedigs Erfolgsgeheimnis

Achtung, Geschichtsstunde!

Aber keine Angst, ich lasse die Cordjacke mit den aufgenähten Ellenbogenschonern im Schrank.

Was mich an Venedig besonders fasziniert: Die Dogenrepublik bestand mehr als tausend Jahre und gilt als stabilste Regierungsform aller Zeiten, trotz Kriegen, Hungersnöten und Staatspleiten. Warum?

Die »Serenissima Repubblica di San Marco«, so der offizielle Name Venedigs, funktionierte dank einer raffinierten Mischung aus Demokratie, Monarchie und Diktatur.

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Auch sehr beeindruckend: Venedig ist die einzige Stadt der Welt, in der ein Stadtplan aus dem 16. Jahrhundert noch nahezu aktuell ist.

Der Doge, gewählt von den alteingesessenen Familien der Stadt, war der oberste Repräsentant. Er wurde aber streng kontrolliert, man öffnete seine Briefe, und er durfte die Stadt nicht verlassen. Dennoch hatte sein Wort ein gewisses Gewicht. Das Parlament oder »Consiglio maggiore« (»Großer Rat«) bestand aus Mitgliedern der Kaufmannsfamilien und hatte viele Rechte, und doch gab es noch die gefürchtete Gerichtsbarkeit, die aus drei Inquisitoren bestand und eigenmächtig Urteile fallen durfte – aber die Inquisitoren durften nur ein Jahr lang im Amt sein, taten also gut daran, klug und umsichtig zu agieren.

Dann gab es noch die einflussreichen Prokuratoren, die sich um die Staatsfinanzen kümmerten, und die vielen Spione, die Republikfeinde im Zweifelsfall in einem der Kanäle dauerhaft entsorgten.

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…und mit venezianischen Spionen kenne ich mich mittlerweile gut aus.

Auch den Dogen wählte man stets im hohen Alter, um ihn im Zweifel schnell wieder los zu werden. Der Doge Marino Falier, der eine erbliche Herrschaft errichten wollte, wie sie in anderen italienischen Stadtstaaten (und auch überall sonst in Europa) üblich war, hatte kein Glück mit seinem Vorhaben – man köpfte ihn vor seinem Palazzo.

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Wenige Minuten später war es aus mit Marino Falier (in schwarz).

(Falls hier ein Experte mitliest: Auch der Große Rat war einigen Änderungen unterworfen, dann gab es noch den Rat der Zehn und viele Institutionen mehr, die im Lauf der Jahrhunderte mal mehr und mal weniger mächtig waren. Aber ihr wisst, worauf ich hinauswill.)

Abgesehen von der Machtbalance gibt es noch ein anderes Erfolgsgeheimnis für Venedigs Stabilität: Niemand konnte einen Hofstaat unterhalten oder sich mit repräsentativen Kutschen oder viel Leibwache fortbewegen. Ob Schatzkanzler oder Wirt, Doge oder Tuchhändler, stets ging es durch enge Gassen oder per Gondel über die Kanäle. Näher waren sich Herrscher und Untertanen nirgendwo sonst. Das sorgte von ganz allein für relativ demokratische Verhältnisse.

Nach heutiger Beurteilung war Venedig natürlich nix. Wie überall hatten die Frauen keine Rechte, und mit Geld konnte man jeden Gerichtsprozess bequem gewinnen. Aber klar ist auch: Als einfacher Mensch konnte man es zwischen dem elften und achtzehnten Jahrhundert fast überall deutlich schlechter treffen.

Auch für Juden war Venedig ein Zufluchtsort. Zwar wurden sie gezwungen, im Ghetto zu leben (das Wort selbst stammt aus Venedig, dazu ein anderes Mal mehr), aber sie waren vor Verfolgungen sicher und konnten ihren Glauben ungestört ausleben.

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Zum Tode Verurteilte wurden von diesem Herrn zur Richtstätte geführt.

Eine Freundin schrieb mir neulich etwas Interessantes: »Game of Thrones« bildet die Wirklichkeit der einfachen Bevölkerung für 99,5 Prozent der Menschheitsgeschichte ab – einem wie immer gearteten Feudalherren schutzlos ausgeliefert. Da hatten es Venedigs Bürger, viel, viel besser.

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Das Foto zeigt übrigens meinen Hotelblick von letzter Woche. Wie kann man sich nicht unsterblich in Venedig verlieben?

Hier eine kleine Neuigkeit: Ich habe inzwischen so viel über Venedig geschrieben (Hotel- und Restauranttipps, Karneval, Spukgeschichten…), dass ihr alle Texte unter einem neuen Sammelbegriff ganz oben auf der Seite findet. Hier entlang, bitteschön!