Das Italien-Prinzip, Teil II: So geht Reichtum!

Vor ein paar Wochen habe ich an dieser Stelle den Text »Das Italien-Prinzip: So geht Glück« veröffentlicht. Er ging wie verrückt durch die sozialen Netzwerke (hier ist er zum Nachlesen), und bei so einem Erfolg muss man natürlich fix etwas hinterher schieben.

Also: Nun geht es vom Glück zum Reichtum.

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Gott erschuf Himmel und Erde. Ich bin schon mit dem ersten Kräuterbeet ganz glücklich.

Vor ein paar Wochen urlaubte ein Freund von mir in Grado. Als ich ihn zum Aperitivo abholte, blickte er auf die vielen Autos mit deutschem (und österreichischem) Kennzeichen auf dem Hotelparkplatz. »Wenn unsere Wirtschaft nachlässt, dann wird das auch Italien spüren«, sagte er mit düsterer Stimme. Die Sonne schien, der Wein wartete, der Tisch im Lieblingsrestaurant war gebucht – keine Ahnung, woher plötzlich dieser melancholische Anflug kam, aber das mag ja auch eine etwas deutsche Sache sein.

Der Satz ist in vielerlei Hinsicht korrekt. Deutschland ist Italiens größter Handelspartner weltweit, und auch die Millionen von Touristen, die in jedem Jahr aus dem Norden kommen, lassen viel Geld im Land.

Aber der Satz ist auch fundamental falsch. Denn wenn es den Deutschen schlecht gehen sollte, geht es zuerst den Deutschen schlecht. Es ist ja schön, dass wir so viel Geld gespart und unseren fleißig verdienten Lohn vorausschauend investiert haben – etwa in Bausparverträge, Rentenzusatz­versicherungen und Kapitallebens­versicherungen. Erinnern wir uns aber daran, dass die Deutschen, diese grundsoliden Wirtschafter und Sparfüchse, in den letzten 110 Jahren vier Mal ihre Währung verloren haben. Und wenn es hart auf hart kommt und die Versorgungssysteme zusammenbrechen, dann könnt ihr ja mal versuchen, mit der Police eurer Kapitallebens­versicherung ein paar Nahrungsmittel für euch und eure Familie zu kaufen.

Ihr kennt vielleicht die Truthahn-Theorie. Nassim Nicholas Taleb, Professor für Risikoforschung und ehemaliger Börsenhändler, entwickelte sie in seinem Bestseller »Der Schwarze Schwan«. Der Truthahn bekommt das ganze Jahr über wunderbares Essen und wird gehegt und gepflegt, sein Wohlbefinden steigt von Tag zu Tag, er glaubt sich beim Farmer in besten Händen – und dann, am Tag vor Thanksgiving: zack, Kopf ab. Das Federvieh kommt vom bestmöglichen in den schlechtestmöglichen Zustand.

Taleb behauptet nun, dass Aktienmärkte und sogar die menschliche Geschichte genau so funktionieren. Wer hundert Tage lang Gewinn gemacht hat, kann nicht davon ausgehen, dass er am hundertersten Tag ebenfalls Gewinn macht. Nur weil es in der Vergangenheit bergauf ging, geht es nicht immer so weiter, sondern es folgt unweigerlich ein tiefer Fall. Jede Prognose ist daher nichtssagend. Ein weiteres Beispiel: Nur weil wir in Deutschland siebzig Jahre keinen Krieg hatten, heißt es nicht, dass es in den nächsten siebzig Jahren so weitergeht. Politische und wirtschaftliche Systeme sind nach Taleb extrem instabil, und Vergangenes erlaubt keine Aussage über die Zukunft.

Im Gegenteil: Taleb weist sogar nach, dass profundes Wissen über die Vergangenheit schädlich sein kann. Auch E.J. Smith musste das erleben. »Ich fahre seit 40 Jahren zur See«, schrieb der erfahrene Kapitän. »Ich habe nie ein Schiff untergehen sehen. Ich bin nie in Seenot geraten. Ich bin niemals in irgendeine auch nur entfernt gefährliche Situation geraten.« Zwei Jahre später übernahm er das Kommando auf der »Titanic«…

Denken wir also einfach mal – German Angst, ihr wisst schon – an das Schlimmste: an den völligen Zusammenbruch der Infrastruktur aufgrund eines Krieges, an eine Virusepidemie wie die Spanische Grippe, an einen Terroranschlag mit ABC-Waffen, an eine Naturkatastrophe. (Gruselt es euch schon ordentlich?)

Ich habe intensiv recherchiert: In Italien gab es auch während der Kriege und in den schlimmsten ökonomischen Krisen keine Hungersnöte, im Gegensatz zu Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien etwa in den Folgejahren des Zweiten Weltkrieges und des berüchtigten Hungerwinters von 1946/1947 mit monatelangen Minustemperaturen im zweistelligen Bereich.

Ihr glaubt, das sei eine ganz andere Zeit, tausende Jahre her, finstere Geschichten aus Game of Thrones? Ihr könnt heute noch mit Leuten sprechen, die diesen Hungerwinter miterlebt haben. Sehr wahrscheinlich auch in der eigenen Familie.

Und diese mediterrane Krisenresistenz hat mit der ländlich geprägten Selbstversorgung zu tun, die in Italien immer noch weit verbreitet ist. Die Hecken sind nicht so hübsch geschnitten wie bei uns, dafür gibt es viele Obstbäume, Olivenbäume, Gemüsebeete, oft einen Hühnerstall. Auch Großstädter in Mailand oder Rom haben zumeist Verwandtschaft auf dem Land, die sie regelmäßig mit frischen Produkten aus dem Garten versorgt. Meine Freunde rollen oft die Augen, wenn in der Spüle wieder eine Plastiktüte mit frischem Grünzeug liegt, weil irgendein weitläufiger Verwandter vor der Tür stand. Natürlich, das Klima hilft. Aber das soll für uns Deutsche keine Ausrede sein.

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Wie profund die Krise auch sein mag: Einen guten Drink wird es bei mir immer geben.

Hans-Olaf Henkel hat den Wirtschaftsraum des Mittelmeers einmal abschätzig als »Olivenländer« bezeichnet. Mich hat diese Bezeichnung immer fasziniert, denn mit einem Olivenbaum im Garten kann man sich zwar keine Mercedes-Benz-Aktien leisten, aber man kommt vermutlich besser durch ganz harte Zeiten als mit diesen bunten Papierschnipseln, von denen irgendwann einmal ein Staat behauptet hat, sie seien genau jenen Betrag wert, der darauf abgedruckt ist.

Über eine vermeintliche Hungersnot im ländlichen Rom schrieb im zweiten Jahrhundert nach Christus der Arzt Galenos von Pergamon: »Die Menschen essen Fenchel, Kerbel, Chicoree, Karotten, Meerrettich und die jungen Wurzeln vieler Sträucher und Bäume.« Ein solcher Teller kostet heute 19,90 Euro im Szenelokal. Die Römer haben sich also vorbildlich vegan ernährt – so wie es gerade am Prenzlauer Berg, im Schanzenviertel oder im Lehel angesagt ist.

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Das ist Galenos von Pergamon. Seine Nase erinnert mich daran, dass man sich ja auch mal an Gurken versuchen könnte.

Viele von uns können sich noch an Oma und Opa erinnern, die mit viel Mühe kleine Beete anlegten oder aus dem Gartenobst Marmelade kochten. Wäre es, dachten wir damals, nicht viel billiger, sich Möhren und Marmelade im Supermarkt zu besorgen? Tja, Oma und Opa waren weise Leute. Sie hatten nämlich noch Krieg und Hunger miterlebt.

Wenn ihr also italienischer leben wollt, legen euren Garten nicht nur als Zierfläche an, sondern kümmert euch um ein paar nützliche Sträucher und Bäume, die Essbares produzieren. Wenn ihr auf dem Land wohnt oder viel Platz habt, ist ein eigener Hühnerstall überhaupt keine abwegige Idee. Der amerikanische Schriftsteller P.J. O’Rourke hat sich Hühner zugelegt und empfindet das Saubermachen, das zwei Mal im Jahr erfolgen muss, zu den befriedigendsten Arbeiten, die er je machen durfte. Auch wenn das »Saubermachen« nichts anderes bedeutet, als viele, viele Kilos Hühnerkot zu schaufeln. Diese vermeintlich niederen Tätigkeiten können äußerst erfüllend sein, aber darüber reden wir bei einem anderen Mal.

Ihr habt nur einen Balkon oder eine Terrasse? Auch kein Problem, selbst hier lassen sich Obst und Gemüse anbauen: Bücher mit Tipps fürs »Urban Gardening« findet ihr überall im Netz. Es scheint ja derzeit sogar richtig in Mode zu sein, wenn ich die Bestsellerlisten richtig deute. Möglicherweise ja ein Hinweis, dass »die fetten Jahre vorbei« sind, wie diese Woche auch der Spiegel schrieb.

All das ist nicht nur eine Krisenvorsorge, sondern sorgt auch für eine bessere Ernährung der ganzen Familie – und ist eine zwar anstrengende, aber eben auch sehr glücklich machende, sinnstiftende Arbeit.

Und wir selbst? Familie Maiwald hat gerade begonnen, Oliven unserer eigenen Bäume einzulegen. Fast dreihundert Gläser sind es geworden. Die Kinder beschwerten sich, dass sie über mehrere Wochen nicht in die Badewanne konnten, weil dort die Zuber mit der Salzwasserlake standen. So mussten sie duschen – und wir haben auch noch Wasser gespart, was dem Geldbeutel wie der Umwelt zugute kam!

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Eigene Oliven! Bitter und scharf, wie es sich gehört. Etikett: Fabian Kendzia.

Erste zarte Versuche mit Tomaten, Rucola und Bohnen entwickeln sich ebenfalls vielversprechend, aber ich will nichts beschreien. Der eigene Wein muss aus Platzgründen allerdings weiterhin ein Traum bleiben.

Unfassbar: Jetzt habe ich so viel geschrieben und es immer noch nicht geschafft, auf meinen neuen historischen Krimi »Die Toten von Rialto« hinzuweisen (in jeder Buchhandlung oder beispielsweise hier). Aber Pflanzen kommen dort auch vor – etwa der Fingerhut, der beim Tod des Dogen eine Rolle spielt. (Oder ist der Doge am Ende gar nicht tot?).

Mit Fingerhut kann man durchaus reich werden. Zum Beispiel dann, wenn man auf eine Erbschaft wartet.

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