»Wo liegt Ihr Lieblingsort?« Die Italienische Zentrale für Tourismus hat gerade eine Umfrage unter Fans und Experten gemacht, die Teil einer Kampagne mit dem Hashtag #Italycomestoyou ist.
Ich bin sowohl Fan als auch Experte (an einem Montag sollte man nicht bescheiden tun, das gibt der Woche einen zu passiven Anstrich). Daher habe ich gleich ein ganzes Brett über meinen Lieblingsort abgeliefert; hier kommt die Vollversion. Wundert euch nicht über das Siezen, das erschien mir für diesen Fremdbeitrag angemessen. Ihr und ich, wir bleiben natürlich beim Du.
Jetzt aber los:
Meine Lieblingsdestination in Italien? Das ist ganz einfach: Es ist ein Ort, der mir so gut gefallen hat, dass ich dorthin gezogen bin. Grado ist eine Insel nicht weit von Triest, mit einer romantischen Altstadt und fotogenen Fischern, die ihre Netze flicken, und einem sieben Kilometer langen Sandstrand.
Aber wenn Wohnorte nicht zählen, dann lautet meine Lieblingsdestination Venedig. Nicht sehr originell, ich weiß. Aber ich kenne nach zwanzig Jahren wirklich viele Ecken Italiens. Beinahe überall ist es schön. Vielleicht nicht gerade auf den Ringstraßen von Neapel zur Rush Hour, aber sonst gibt es überall traumhafte Orte zu entdecken.
Das ist eines meiner Lieblingshotels: das schnuckelige Ponte Chiodo.
Dennoch: Venedig ist selbst für italienische Standards etwas ganz Besonderes – eine amphibische Stadt mit tausend Jahren Architektur- und Kunstgeschichte. Nirgendwo auf der Welt gibt es auf engerem Raum und vor beeindruckenderer Kulisse mehr Schätze zu bewundern, ob Palazzi, Statuen, Kirchenkunst oder Fresken.
Mein erster Tipp: Reisen Sie unbedingt mit dem Zug an, die Verbindungen sind gut. Und wenn Sie aus dem Bahnhof treten, stehen Sie direkt am Canal Grande. Das ist ein so umwerfendes Erlebnis, als hätte jemand den Vorhang zu einem Theaterstück beiseite gezogen.
Meine Lieblingsorte innerhalb der Stadt? Da wäre zunächst das Ghetto mit dem malerischen Campo del Ghetto Nuovo, einer der schönsten Plätze der Stadt. Auch gibt es hier die ersten Hochhäuser der Baugeschichte zu bestaunen. Weil der Platz für die herbeiströmenden Juden aus aller Welt begrenzt war, baute man einfach in die Höhe – bis zu acht Stockwerke.
Blick vom Danieli auf die Punta della Dogana. Genau in diesem Hotel passiert in meinem neuen Buch ein fieser Anschlag.
Der magischste Winkel ist der Campo dei Mori, etwas versteckt in Cannaregio, mit der geheimnisvollen Statue des Antonio Rioba, dem Mann mit der eisernen Nase. Antonio war, so will es die Legende, ein betrügerischer Banker. Als er bei einer seiner Transaktionen eine religiöse Venezianerin über den Tisch zog, bat diese Maria Magdalena um Hilfe. Die Gottesmutter verwandelte den bösen Mann in eine Statue, als Mahnung an alle Händler, ehrlich zu sein. Passenderweise galt die Statue später als Meckerecke, wo Spottverse über die Politiker angeheftet wurden.
Das Ca’ d’Oro direkt am Canal Grande, eine Sinfonie aus Licht und Leichtigkeit, ist für mich das schönste Haus der Welt. Erbaut zwischen 1421 und 1442, wechselte es oft den Besitzer. Im 19. Jahrhundert schenkte es der russische Prinz Alexander Trubezkoi der Tänzerin Maria Taglioni, doch auch dieses großzügige Präsent konnte ihm die Liebe der Diva nicht gewinnen. Andere Verehrer hatten der Signora ebenfalls Anwesen am Canal Grande zu Füßen gelegt. 1895 fiel das Goldene Haus schließlich an den Baron Franchetti, der es samt seiner Kunstsammlung der Stadt vermachte. Das eklektische Museum passt gut zur turbulenten Geschichte des Hauses, mit Werken von Carpaccio, Tizian und Mantegna, Möbelstücken aus früheren Epochen, wertvollen Stickereien und einer Münzsammlung. Der eigentliche Star des Museums ist und bleibt aber der Palazzo selbst.
Das »goldene Haus«: Auch ohne Blattgold das schönste Haus der Welt?
Da ich gern esse, ist ein Besuch auf dem Fischmarkt ein Muss. Drei Meter große Thunfische, gewaltige Schwertfische, Tintenfische, Krebse, Hummer, Seespinnen: Die ganze überbordende Pracht des Meeres wird verkauft. Der Mercato del Pesce zwischen Rialtobrücke und Fondaco dei Turchi ist einer der größten Märkte für Fische und Meeresfrüchte in Italien. Schon frühmorgens öffnen die Stände. Die vorgeschriebene Mindestgröße der Meerestiere ist für alle sichtbar in Stein gemeißelt.
Und wenn ich von den 128 Kirchen Venedigs nur eine besuchen dürfte, dann wäre es die Santi Giovanni e Paolo. 26 Dogen liegen hier begraben. Die prächtige Decke ist Blendwerk – genauer: verputztes Flechtwerk. Stein hätte den Bau zu schwer werden lassen. Beim Thema »letzte Ruhe« ließ sich kein Patrizier lumpen. Allerdings waren die Gruften eine Last für die Erben, es musste über Generationen fleißig gespendet werden, damit die Gräber der Ahnen in den heiligen Hallen bleiben durften. Die Kirche wiederum investierte das Geld in neue Kunstwerke – ein cleveres System!
Wer Sehnsucht nach Venedig bekommen hat: mein neues Werk. Druckfrisch duftend!
Auch der Ponte dei Pugni regt immer wieder meine Fantasie an: Nicht einmal die wildesten Fußballschlachten verfeindeter Fans können mit den Ereignissen am Ponte dei Pugni mithalten. Die winzige »Brücke der Fäuste« war eine Kampfarena; die eisernen Fußabdrücke auf den Stufen markierten die Startpositionen. Einmal im Jahr trafen sich die Nicolotti und die Castellani, Anhänger der unterschiedlichen Stadtteile, zur Schlacht. Mit Messern und Knüppeln gingen die Renaissance-Hooligans aufeinander los. Die Castellani, mit roten Mützen bekleidet, waren die Bewohner von Castello, San Marco und Dorsoduro. Zu den Nicolotti gehörten Bewohner von Cannaregio, San Polo und Santa Croce. Die Regierung versuchte, die Kämpfe zu unterbinden – vergeblich. Aus den umliegenden Fenstern flogen Steine, Schmutz und kochendheißes Wasser.
Die Leseecke im Gritti Palace.
Für das Häppchen und ein Glas Wein im Stehen gefällt mir das Al Mercà am Fischmarkt gut, ein stimmungsvolles Lokal, direkt am Fischmarkt gelegen, randvoll mit Marktarbeitern und ihren Kunden, auch Kaufleute treffen sich hier.
Und noch ein letzter Tipp: Für einen Tagesausflug ist Venedig viel zu schade. Bleiben Sie über Nacht oder gleich mehrere Tage – erst am Abend findet die Stadt wirklich zu sich selbst, und der Tourist wird zum Flaneur.
Hotels, Restaurants für jeden Geldbeutel und sonstige wichtige Tipps zum Venedig-Besuch finden Sie auf http://www.postausitalien.com. Dort wird auch die Frage beantwortet, warum ein Cappuccino im Caffè Florian 12 Euro kostet…
Ende des Textes.
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Mein neues Buch: bitteschön.
Wer Lust auf Venedig bekommen hat: Hier habe ich alle Texte und Tipps gebündelt.
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