Jetzt beginnt Teil vier des vermutlich üppigsten Corona-Tagebuchs in deutscher Sprache – ist ja auch kein Wunder, wir gehen in Italien mittlerweile in den dritten Monat des Lockdowns.
Zu den vorherigen Folgen geht es hier entlang.
Dienstag, 5. Mai
Seit gestern dürfen die Venezianer wieder Boot fahren. Mein Schreibtischgondoliere ist schon ganz aufgeregt!
Er wackelt wie verrückt. Aber: Ihr müsst euch die Touristen wegdenken.
Und: Der gommista hat wieder geöffnet, so dass ich meinen ersten freien Vormittag zwischen Stapeln von abgefahrenen (wortwörtlich, nicht bildlich) Autoreifen verbringe und genug heißes Gummi einschnüffle, bis ich Sterne sehe. Der Wechsel von Winter- auf Sommerreifen steht an, der während des Lockdowns nicht möglich war. Ich darf währenddessen in der Werkstatt drauf warten. Ja, genau so aufregend habe ich mir als 15-Jähriger das Leben als Erwachsener vorgestellt.
Endlich frei! Endlich… äh, Sommerreifen.
Montag, 4. Mai
Hui, jetzt ist doch einiges passiert. Massimiliano Fedriga, der Ministerpräsident des Friaul, hat sich gestern mit einem Dekret gegen die Regierung in Rom gestellt, so dass ab heute große Erleichterungen gelten. Wir dürfen endlich die Heimatgemeinde verlassen, auch aus banalen Gründen wie zum Einkaufen. Wir müssen, wenn wir allein Sport treiben, keine Masken mehr tragen, und wir dürfen Verwandte bis zum sechsten Grad besuchen (was, wie ein TV-Analyst gestern erklärte, auch die Cousins unserer Cousins einschließe, worüber ich die ganze Nacht nachgedacht habe).
Natürlich gelten immer noch die üblichen Abstandregelungen. Die Region dürfen wir nach wie vor nicht verlassen, aber damit lässt sich ja erstmal leben. Parks und Strände öffnen ebenfalls wieder. (In Grado war der Strand glücklicherweise nur ein paar Tage geschlossen in Lignano dagegen war er in den letzten Wochen komplett abgesperrt.)
Das heißt: Ich werde mich nachher das erste Mal nach fast zehn Wochen wieder ins Auto setzen, ich werde Gas rechts, Bremse links summen und einfach so irgendwo hin fahren.
Jetzt ist nur die Frage, wie oft ich angehalten werde, weil ein deutsches Kennzeichen ja geradezu nach Blockadebrecher schreit.
Samstag, 2. Mai
Ich sehe anhand der Mails und Meldungen: Euch fällt in Deutschland und Österreich die Decke auf den Kopf. Denkt mal, wie es uns inzwischen geht! Und: Hier gibt immer noch keine nennenswerten Erleichterungen, neuerdings ist vom 1. Juni die Rede. Alter, Alter, Alter, würde mein 18-jähriges Ich sagen.
Immerhin: Ich habe euch ja berichtet, dass zumindest einige Lieferdienste wieder ihre Arbeit aufgenommen haben. Und wir haben nach langer Zeit mal wieder Sushi genossen.
Sushi in Italien, müsst ihr wissen, ist – jenseits der ganz großen Städte – etwas völlig Exotisches und hat sich hier bislang im Gegensatz zu anderen westlichen Nationen nie etablieren können. Das hat zwei Gründe: Erstens sind Italiener, was fremde Küchen angeht, generell sehr skeptisch – etwa so wie Deutsche, die über ausländische Autos reden. Zweitens begreifen sie nicht den Rummel, der um rohen Fisch gemacht wird, denn rohe Fische und Meeresfrüchte gehören schon seit Jahrhunderten zur mediterranen Diät.
Na, jedenfalls: Die mitgelieferten Essstäbchen (es sind ja immer viel zu viele) brachten mich auf eine Idee.
Die Herumlümmelei ist vorbei, liebe Masken!
Und habt ihr drüben beim Playboy-Quiz mitgemacht? Gestern Abend habe ich die Auflösung geliefert!
Donnerstag, 30. April
Okay, reden wir kurz ernsthaft: Klar, dass es jetzt, im dritten Monat des Lockdowns, langsam an die Existenz vieler kleiner Unternehmen auch hier in Grado geht.
Und deswegen ist im Friaul eine Bewegung namens #iovoglioesserci (»Ich will da sein«) entstanden.
Inhaber und Angestellte von Bars, Restaurants, Hotels, Friseuren, Geschäften und Boutiquen verlangen vom Staat eine Rückkehr zur Normalität und lassen sich mit Maske und Handschuhen fotografieren – Motto: Wir sind bereit.
Und diese Maske musste ich natürlich sofort bestellen:
Support your local team!
Was jetzt noch fehlt: ein Aufbewahrungsort für die Masken, so wie ein Schlüsselbrett. Hat da jemand von euch eine Idee? Oder ist ein Schlüsselbrett vielleicht sogar die Lösung?
Dienstag, 28. April
Wir sind nun innerhalb der eigenen Gemeinde frei, uns zu bewegen. Zumindest, wenn ich das alles richtig verstanden habe. Hier herrscht ein ziemlicher Wirrwarr. Auf jeden Fall habe ich mein Schrittziel auf 18.000 pro Tag angehoben.
Wegen Wirrwarr habe ich gerade im Duden nachgeschlagen: Es geht der oder das Wirrwarr. Was mich an meine Lieblingsfrage erinnert: Welches deutsche Wort darf männlich, weiblich und sächlich sein? Joghurt.
Jedenfalls steckt hinter dem Extrem-Spazierengehen ein schmutziger Deal mit mir selbst: Tage, an denen ich die 18.000 Schritte tatsächlich schaffe, ersparen mir mein Sportprogramm.
Themenwechsel: Mein neues Buch hat die Händler erreicht, und ein paar von ihnen haben sich gleich was Nettes einfallen lassen:
Danke, Buchhandlung Graff in Braunschweig!
Danke, Buchhandlung Bräunling in Puchheim!
Montag, 27. April
Neueste Neuerung aus Maiwalds Kochstudio: Meine Töchter haben sich an Croissants versucht – eine sehr ambitionierte Sache. Sie sind etwas wuchtig geraten, schmecken aber nicht schlecht. Ein Foto poste ich gleich noch.
Nachtragsbeweisfoto.
Kurz zur Politik: Premierminister Conte hat gestern Abend die Lockerungen verkündet, auf die wir alles so sehnsüchtig gewartet haben. Zum 4. Mai dürfen wir wenigstens ein bisschen mehr. Aber nicht so viel mehr, wie wir uns alle erhofft hatten: So dürfen wir nach wie vor die eigene Gemeinde nur in dringenden Fällen verlassen, selbst Kurztrips zum Einkaufen oder ein Besuch bei Freunden sind daher ausgeschlossen. Zum 18. Mai kann es wieder mit Mannschaftssport losgehen – was im fußballbegeisterten Italien keine kleine Nachricht ist, nicht nur wegen der Serie A, sondern auch wegen der vielen kickenden Kneipenmannschaften.
Zurück zum guten Leben: Wer sich schon immer mal die Webseite des Playboy ansehen wollte – jetzt ist eine gute Gelegenheit, denn dort steht eine sehr nette Kritik meines Venedig-Krimis. Hier entlang.
Sonntag, 26. April
Jetzt weiß ich, warum Angler immer so übertreiben (»Anglerlatein«) – es geht ja gar nicht anders, denn auf Fotos sehen selbst Riesenfische winzig aus. Der hier jedenfalls war wirklich groß und passte nur diagonal auf den Grill. Aber irgendwie macht das Foto nicht viel her.
Schwiegervater mit Branzino.
Er war aber köstlich und reichte locker für fünf Personen, und das ist ja das Wichtigste.
Update zum Buch: Auf der Amazon-Bestellerliste »Italienische Literatur« liege ich auf Platz 16, einen Platz vor Boccaccios »Dekameron«.
Ich denke, ich kann mich zur Ruhe setzen.
Samstag, 25. April
Drüben auf dem Kanal http://www.reise-stories.de gibt es ein Interview mit mir über meine kommenden Lieblingsziele und alles, was mir im Lockdown wirklich fehlt. Ihr könnt ja mal rüberschauen. Hier entlang.
Ein Kumpel meines Schwiegervaters hat gestern einen mächtigen Seebarsch gefangen, der selbst küchenfertig noch 3,4 Kilogramm wiegt. Das wird heute Abend eine echte Herausforderung – unklar, ob er überhaupt in den Ofen oder auf den Grill passt. Ich werde es fotografisch festhalten.
Freitag, 24. April
Ein großer Tag! Erstens ist Freitag, der vielversprechendste aller Wochentage. Vor uns liegt nur Gutes. Nämlich in unserem Fall ein Wochenende, an dem die Restaurants ihre Lieferdienste anbieten. Unter der Woche lohnt es sich für sie nicht, aber ab heute haben wir in Grado für drei Abende die freie Auswahl. Und das ist in diesen Zeiten doch eine richtig feine Sache.
Zweitens ist heute mein Buch erschienen. Ich bin sehr glücklich!
Ist das Cover nicht toll? Made by my big Kumpel Fabian Kendzia.
Ich bin mir sicher, das Buch wird euch gefallen! Hier steht etwas mehr darüber.
Ich schicke nachher noch eine Rundmail herum – sorry, falls ihr alles doppelt bekommt. Aber es ist eben kein Freitag wie jeder andere.
Lasst es euch gut gehen!
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