Die fallende Maske, die bronzene Bräune und die Prozession: Mediterrane Wochenschau LIX

Hier kommt der einzige Newsletter, der derzeit nur Bücher von irischen und britischen Schriftstellern liest, weil das dort beschriebene Wetter in der italienischen Hitze so schön erfrischend wirkt! (Sehr lustig: »Killoyle Wein & Käse« von Roger Boylan.)

Wenn es so weitergeht, widme ich mich bald den Biografien der Polarforscher.

Montag, 28. Juni

Endlich runter mit der Maske! Hier noch einmal das hoffentlich für lange Zeit letzte Maskenfoto. Denn in Italien ist die Maskenpflicht für draußen nun aufgehoben. Man soll immer noch eine Maske mitführen, falls Abstände zu anderen Menschen nicht eingehalten werden können, und auch beim Betreten eines Geschäfts ist die Maske weiterhin Pflicht.

Dennoch ist das ein Riesenschritt in Richtung Normalität. Endlich können wir wieder durch den Ort flanieren und erkennen, wer einen da von der anderen Straßenseite grüßt. Kann ja nicht jeder so eiskalt sein wie meine italienische Schwiegermutter, die, wenn sie einen Grüßenden nicht erkennt, direkt auf ihn zugeht, mit dem Finger auf ihn zeigt und dann fragt: »Wer bist du?«

Dienstag, 29. Juni

Passend zur Hitzewelle ist mir gerade ein kleiner Text in die Hände gefallen, den ich vor ein paar Jahren für P.M. geschrieben habe:

Seit wann bräunen wir uns?
Vermutlich galt Bräune schon in der Antike schick; so ließen sich die reichen Römer in ihren Villen Terrassen zum Sonnenbaden anlegen. Solche Terrassen hießen solaria oder im Singular solarium, daher haben heutige Sonnenstudios ihren Namen. Dann allerdings galt über Jahrhunderte die Blässe als Schönheitsideal, zeigte sie doch, dass man zu einer höheren Schicht gehörte, die nicht auf den Feldern schuften musste. Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert achteten Mann und Frau von Welt darauf, bloß nicht zu viel Sonne abzubekommen. Die Frau, die alles änderte, hieß Coco Chanel. Sie fuhr in den 1920er-Jahren zum Sommerurlaub an die Côte d’Azur, sonnte sich dort ausgiebig und zeigte anschließend die bislang verpönte Bräune auf den Pariser Boulevards stolz her. Zudem nannte sie die Farbe ihres Teints nicht Bräune, sondern bronzage, und wer kann der edlen Bronze schon widerstehen? Bald machten es ihr die Pariserinnen nach, und die neue Mode fegte die bislang vornehme Blässe aus der Welt.

Mittwoch, 30. Juni 

Falls hier Sprachwissenschaftler mitlesen: Ich frage mich schon seit Jahren, wie diese typisch italienische Sprachfigur heißt, bei der die Initialen des Besitzers zu seinem Firmennamen ausgeschrieben werden.

Hä?

Ich gebe euch ein Beispiel: Würde Roberto Mancini morgen eine Reinigung eröffnen, würde er sie »Erre Emme« nennen – eben genau so, wie seine Initialen R.M. im Italienischen ausgesprochen werden. Mein Kleinunternehmen hieße Esse Emme, und eine Leserin schrieb mir mit den Initialen Kappa Elle. Dahinter könnte sich beispielsweise die Profigolferin Karolin Lampert verbergen, tut sie aber nicht. Aber wenn sie nach ihrer Karriere eine Schlägerfirma gründen will, dann wäre das doch ein toller Name.

Wenn ihr durch italienische Orte fahrt, seht ihr Dutzende Firmen, die auf diese Art benamt sind. Wie nennt man das? »Aussprachkürzel«?

Donnerstag, 1. Juli

Leute, es ging nicht mehr. Die Hitze ist ja perfekt für den Strandurlaub, das Dahindösen unterm Sonnenschirm, das träge Rätsellösen in der Settimana Enigmistica (ich bin im Vergleich zu letzter Woche leider noch nicht weitergekommen) – aber ich merkte, wie meine Motivation dahinschmolz und mein Zeilen-Output in einer dramatischen Kurve gegen Null raste, und deswegen bin ich für zwei Nächte in die Berge geflüchtet. Bad Kleinkirchheim liegt zwar in Kärnten, ist aber praktisch eine italienische Exklave; in der Straße unserer Ferienwohnung ist mein Auto das einzige mit deutschem Kennzeichen, rundherum sind nur Italiener.

Landhausstüberl: eine etwas unheimliche Begrüßung, aber der Bauernspieß ist köstlich.

Ich musste auch hoch, weil ich gerade Band 3 des Bad-Kleinkirchheim-Krimis schreibe und dieses Mal ein paar Sagengestalten auftreten lasse, zu deren Suche ich mich auf ausgedehnte Wanderungen begeben musste. Spoiler: Ich habe keine Sagengestalt gefunden. Aber immerhin fällt es mir in der kühlen Luft ganz leicht, auf meine 18.000 täglichen Schritte zu kommen. Zu den Sagengestalten mehr in der nächsten Wochenschau.

Interessante Beobachtung: Die Südländer spotten ja gern über uns Deutsche und Österreicher, weil wir so früh zu Abend essen. Tja, und hier? Da sitzen die Italiener genauso wie wir um 18.30 Uhr bei Frittatensuppe und Schnitzel am Tisch. Womit bewiesen wäre: Das späte Abendessen hat nichts mit Traditionen oder Kennerschaft zu tun, sondern ist allein dem Klima geschuldet. Ist ja klar, dass man in Apulien oder in Andalusien um 19 Uhr keinen Hunger hat, wenn draußen noch 30 Grad sind. Aber hier in Österreich werden die Essenstemperaturen eben früher erreicht, und die italienischen Eltern möchte ich sehen, die ihren Kindern nach einem ereignisreichen Tag auf dem Radweg oder im Schwimmbad das frühe Abendessen verweigern, »weil die Leute uns sonst noch für Deutsche halten.«

Freitag, 2. Juli

Heute muss ich aber schon wieder zurück nach Grado. Morgen ist ja der große Tag, Sabo Grando: Überall wird gefeiert, und da kann ich nicht fernbleiben.

Eine Sechs-Liter-Flasche heißt »Methusalem«.

Der Sabo Grando ist Gradeser Dialekt für den »Sabato Grande«, den »Großen Samstag« vor dem Wallfahrtszug auf die Klosterinsel Barbana. Am Abend wird gefeiert, am Sonntag früh am Morgen legen die geschmückten Fischerboote ab, mit dem Bürgermeister samt Schärpe, allen Honoratioren in Ausgehuniformen und der Madonnenstatue aus der Kirche. Voraus fährt traditionell die »Stella del Mare«. Manchmal klemmt die Brücke, manchmal ist der Kanal zu flach, so dass die Schiffe steckenbleiben (ich werde nächste Woche berichten) – aber am Ende, typisch Italien, klappt es immer irgendwie.

Der Ursprung der Prozession ist unklar; vermutlich geht sie auf eine Pestwelle im Jahr 1237 zurück, nach deren Ende die Gradeser aus Dankbarkeit die Klosterinsel besuchten. Und damit passt diese Tradition doch ganz wunderbar ins Jahr 2021, nachdem wir diesem miesem kleinen Virus mit Anlauf in den Hintern getreten haben.

Zur letzten Wochenschau geht es hier entlang.

Alle Tipps zu Grado habe ich hier und hier zusammengefasst.

Alles über Venedig? Bitteschön.

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Und mein neues Buch »Das Italien-Prinzip: So geht Glück«? Bitteschön.

Die nächste Wochenschau erscheint pünktlich am nächsten Freitag – euch allen eine sonnige Woche!