Warum es Spaghetti bolognese eigentlich gar nicht gibt: Mediterrane Wochenschau LXXV

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Montag, 25. Oktober

Ich hatte ja letzte Woche von der Emilia-Romagna und Spaghetti bolognese gesprochen. Spaghetti bolognese haben übrigens deutschlandweit die Currywurst als beliebtestes Kantinengericht abgelöst.

Jedenfalls tobt in Italien ein regelrechter Kulturkampf um dieses Gericht. Es gibt sogar eine Facebook-Gruppe mit dem Namen »Gli spaghetti bolognese NON ESISTONO!« inklusive Wutbürger-Großschreibung. Was steckt dahinter? Tatsächlich findet ihr auf Speisekarten in und um Bologna nie Spaghetti, sondern Tagliatelle. Denn, so die Italiener, seien Spaghetti die grundfalsche Nudel für ein Fleischragout, es brauche die breitere, aufnahmefähigere Bandnudel aus Eierteig. Außerdem gibt es verschiedene Ragout-Arten, neben dem ragù bolognese auch das ragù napoletano. Und es sei ja wohl klar, dass in Bologna die Bolognese-Version zubereitet werde, das müsse man doch nicht extra betonen. Tagliatelle al ragù steht daher auf den Speisekarten nicht-touristischer Restaurants.

Hier stimmt die Pasta.

Was ist nun wieder der Unterschied zwischen den Ragout-Arten? In der Bologna-Version wird feingehacktes Fleisch verwendet, in der Neapel-Version gröbere Fleischstücke und viel mehr Tomatensugo, oft auch Basilikum und sonstige Kräuter (ein Tabu im Bolognese-Ragout), Rosinen und Pinienkerne. Und selbstverständlich wird in Süditalien konsequent Hartweizenpasta verwendet. Beiden Saucen ist gemein, dass sie über Stunden einkochen sollten, bis sie schön dickflüssig sind. Ein Achtzigerjahre-Trick aus den Restaurantküchen lautet Pasta alla vesuviana, »Pasta nach Vesuv-Art«: Kurze, breite Röhrennudeln, etwa Paccheri, werden senkrecht auf den Teller gestellt, das Ragù wird darüber gegossen, so dass alles aussieht wie ein Vulkanausbruch mit herabströmender Lava.

Ihr könnt für eure Bolognese trotzdem Spaghetti benutzen; die Italiener schicken keine Spione in eure Küche. Aber ein bisschen besser schmeckt es tatsächlich mit Tagliatelle.

Diese Ehrpusseligkeit in kulinarischen Kleinigkeiten ist manchmal gerechtfertigt (Pizza Hawaii, Cappuccino nach dem Abendessen), aber manchmal auch übertrieben, wie zum Beispiel bei Spaghetti bolognese. Doch die gute Küche ist nun einmal das italienische Distinktionsmerkmal schlechthin, da muss man es schon aus Nationalstolz ganz genau nehmen.

Dienstag, 26. Oktober

Ich mache mich ungern über Menschen lustig, die es nicht so richtig gebacken kriegen. Denn wir sind ja alle Inselbegabungen. Ich kann zwar Zeitungen in vier Sprachen lesen, aber ich habe keine Ahnung, woher der Strom aus meiner Steckdose kommt, was genau der Unterschied zwischen Benzin und Diesel ist oder wie die Heizung in meiner Wohnung funktioniert.

Aber das muss ich euch doch erzählen. Ich war in Norddeutschland bei den Verwandten. Und wollte in einem Fitnessstudio pumpen gehen, um die vielen köstlichen Bratkartoffeln abzuarbeiten. Also trage ich mich in den Kontaktnachverfolgungsbogen (tolles Wort) ein und gebe meine italienische Adresse an. Ich komme mit dem Muskelprotz hinter dem Tresen ins Gespräch, und er fragt mich, wie es inzwischen mit dem Virus in Italien aussieht. Ich sage, dass die Zahlen wieder leicht steigen, aber im europäischen Vergleich langsamer als in jedem anderen Land.
»In Italien sind sie bei fast 85 Prozent Impfquote«, sage ich. »Ist natürlich besser als Deutschland mit seinen 65 Prozent.«
»Klar«, sagt der Muskelprotz. »Aber Deutschland hat ja auch mehr Einwohner.«

Mittwoch, 27. Oktober

Der Schreibtisch brennt! In den nächsten Tagen gibt es jede Menge Neuigkeiten, aber vorerst sei noch einmal an das Gewinnspiel erinnert, bei dem ihr zwei Buchpakete im Wert von je 100 Euro gewinnen könnt.

Fotografiert das Buch beim Herbstspaziergang oder wartet auf den ersten Schneefall und nehmt es mit auf die Piste. Fotografiert es daheim, vorm Kamin oder im Restaurant bei Frittatensuppe oder Wiener Schnitzel.

Außerdem wollte ich ja die Gewinner des Fotowettbewerbs zum »Italien-Prinzip« bekannt geben, aber da ich beim ersten Aufruf von »Ende Oktober« gesprochen habe, nehmen wir das bevorstehende lange Wochenende noch mit. Da nehmen wir es preußisch genau, so wie die Italiener mit ihren Tagliatelle!

Donnerstag, 28. Oktober

Apropos langes Wochenende: Hier in Grado ist es so voll wie im Hochsommer, und weil einige Restaurants schon geschlossen haben, wird es überall eng. Solltet ihr also auf einen Sprung runterkommen, dann kümmert euch rechtzeitig um eine Tischreservierung!

Und wenn ihr jetzt Lust auf Bolognese bekommen habt: Schickt mir ein Foto – ob aus der Kantine, dem Restaurant oder eurer Küche. Ihr dürft sie anrichten, wie ihr wollt, ich bin da nicht so: mit Tagliatelle, mit Spaghetti, mit Paccheri, mit Fusilli…

Fundstücke der Woche

Ein Wanderer irrt 24 Stunden in der Wildnis umher, weil er auf die Handy-Anrufe der Retter nicht reagiert – es sei ja eine unbekannte Nummer gewesen…

Bizarre Architektur in Mexiko, errichtet mit dem Geld von Mexikanern, die in den USA arbeiten und ihre armen Verwandten daheim unterstützen.

Ein sehr gutes Wiener-Schnitzel-Rezept mit schönen Wiener Ausdrücken. Das Fleisch wird nicht »plattgeklopft«, wie es in deutschen Rezepten heißt, sondern ganz elegant »plattiert«.

Zitat der Woche

»Ich bin ein Romantiker… ich höre manchmal nachts Schreie und dann gehe ich nachsehen, was los ist. Dabei verdient man keinen Penny. Wenn man noch seine fünf Sinne zusammen hat, macht man das Fenster zu und dreht den Fernseher lauter.« – Raymond Chandler, Der lange Abschied

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Die nächste »Mediterrane Wochenschau« erscheint wie immer am kommenden Freitag. Ich wünsche euch allen eine wunderbare Woche!

PS: Schaut doch mal auf meiner Autorenseite bei Facebook vorbei! Die Seite heißt ganz originell »Stefan Maiwald – die Autorenseite«.