Venedigs Geheimnisse: 8 Schauergeschichten

Fast tausend Jahre lang war die Serenissima eine der Hauptstädte der Welt. Handelsrouten kreuzten sich in der Lagunenstadt, Künstler schufen einmalige Fresken und Gemälde, kühne Baumeister entwarfen atemberaubende Kirchen und filigrane Palazzi – all das auf kleinstem Raum und in einer märchenhaften Lagunenlandschaft.

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Venedigs Mysterien liegen, wie es sich gehört, oft abseits der üblichen Touristenrouten.

Kein Wunder, dass dieser aufregende Mix auch allerlei Mysterien verbirgt: Hier kommen acht Schauergeschichten, von verfluchten Häusern über teuflische Missetaten bis zu kopflosen Dogen.

Die Maurenskulpturen am Palazzo Mastelli (3381 Campo dei Mori) sollen betrügerische Kaufleute sein, die zur Strafe für ihre Taten zu Stein verwandelt wurden. Auch den Wucherer Bartolomio Zenni traf ganz in der Nähe die gerechte Strafe: Der Geizhals rettete in der Nacht des 13. Mai 1437 bei einem Großbrand lieber sein Gold und seine Juwelen statt die Nachbarskinder; doch er fiel beim Versuch, sich vor den Flammen in Sicherheit zu bringen, in einen der Kanäle und ertrank. Seitdem streift er nachts mit einem schweren Sack auf dem Rücken durch die Gassen Cannaregios.

Im Casa del Boia (Calle della Testa 6216) wohnte einst der städtische Henker. Der geheimnisvolle Kopf an der Fassade diente als Briefschlitz: Im fünfzehnten Jahrhundert überbrachte man dem Scharfrichter Termine über bevorstehende Hinrichtungen, indem man eine Nachricht in den Mund des Reliefs stopfte.

Foltersäule

Keine Schmucksäule, sondern ein Richtstein. Hier nicht zu erkennen: die Spuren der Hiebe.

Im kleinen Stadtteil Santa Croce im Westen findet sich im Fondamenta del Monastero/Ecke Fondamenta di Santa Croce eine Säule, an der die meisten Touristen achtlos vorbeigehen. An jener Säule wurden Dieben die Hände abgetrennt, und wer genau hinsieht, findet auch noch die Schnittspuren von Richtschwertern.

Ca' Dario

Bildhübsch, aber leerstehend. Das Risiko ist einfach zu groß.

Der Palazzo Dario ist eines der charakteristischsten Häuser der Stadt, aber nur von außen zu bewundern. Und das ist vielleicht ganz gut so, denn seinen Bewohnern hat der traumschöne Bau nie Glück gemacht. Schon der Sohn des Bauherrn Giovanni Dario wurde ermordet, seine Frau brachte sich um. Der Sohn der beiden wurde auf Kreta erschlagen. Der armenische Schmuckhändler Arbit Abdoll ging pleite, nachdem er den Palast gekauft hatte. Der spätere Eigentümer Radon Brown brachte sich mit seinem Liebhaber im Palazzo um, nachdem seine Affäre öffentlich geworden war. Der Liebhaber des nächsten Besitzers Charles Briggs tötete sich ebenfalls. 1964 wollte der italienische Tenor Mario del Monaco den Palazzo kaufen. Auf dem Weg zum Notar erlitt er einen schweren Verkehrsunfall, der ihn zwar nicht tötete, aber schwer behinderte. Nächster Besitzer: Der Rock-Manager Kit Lambert (»The Who«), der bei einem rätselhaften Treppensturz in London ums Leben kam. Der venezianische Geschäftsmann Fabrizio Ferrari kaufte den Palazzo und lebte dort mit seiner Schwester Nicoletta. Er machte umgehend pleite, seine Schwester starb bei einem Verkehrsunfall. Raul Gardini, der große italienische Gentleman, erwarb den Palazzo 1989. 1993 beging er in noch ungeklärten Umständen Selbstmord. Seit dieser schwarzen Serie ist der Palast unverkäuflich.

Die Rialtobrücke ist Teil einer schaurigen Legende. Angeblich soll der Teufel mit dem Baumeister der gewagten Konstruktion einen Pakt geschlossen haben: Die Seele des ersten lebendigen Wesens, das die Brücke überquert, sollte ihm gehören. Architekt Antonio di Ponte, nicht dumm, schickte als erstes einen Hahn über die Brücke. Daraufhin stürmte der empörte Herr der Finsternis zu Antonios Wohnhaus, wo er aber nur dessen schwangere Frau antraf. Kurz danach kam sie mit einer Totgeburt nieder, und angeblich soll die Seele des kleinen Jungen jede Nacht verzweifelt über die Brücke streifen…

Der Straßenname Calle delle Tette sorgt im Italienischen für Erheiterung, denn einst boten in der »Tittengasse« Prostituierte ihre Dienste an. Im 16. Jahrhundert sollen 11.000 Prostituierte in Venedig gearbeitet haben – bei damals 150.000 Einwohnern eine beachtliche Zahl. Dass es auch jede Menge hochanständiger Damen gab, zeigt die Frauenmaske des Hauses in San Polo 2935. Hier soll die Frau eines berühmten Waffenschmiedes gewohnt haben, die von einem jungen Patrizier namens Marchetto Rizzo begehrt wurde. Um einen Vorwand zu haben, ihr nah zu sein, gab er bei dem Schmied ein Schwert in Auftrag. Eines Tages, als der Schmied nicht daheim war, verschaffte sich der edle Herr Zutritt zu dem Haus und vergewaltigte die Ehefrau. Die rächte sich und erstach ihren Peiniger – just mit dem Schwert, das für ihn bestimmt gewesen war.

Graffito Muttermörder

Dieses Graffito zeigt keinen tanzenden Inka-Priester, sondern einen Mörder.

Eine in die Wand geritzte Zeichnung am Ospedale Civile di Venezia im Stadtteil Castello zeigt einen Mann, der ein Herz in der Hand hält. Er soll hier vor vielen Jahrhunderten seine eigene Mutter erstochen und anschließend ihr Herz herausgeschnitten haben. Dann ist er mit dem Herz in der Hand durch die Gassen des Sestieres geflüchtet. Er stolperte und ließ dabei das Herz fallen. »Mein Sohn, hast du dir wehgetan?«, soll das Herz gesprochen haben. Daraufhin sprang der Mörder in die Lagune und ertränkte sich.

Der Markusplatz ist eine gute Gelegenheit, auf die Serenissima Repubblica di San Marco selbst einzugehen: Die »Allerdurchlauchteste Republik des Heiligen Markus« bestand 1000 Jahre und gilt als stabilste Regierungsform aller Zeiten, trotz vieler Kriege, Hungersnöten und Staatspleiten. Sie funktionierte dank einer raffinierten Mischung aus Demokratie, Monarchie und Diktatur. Der Doge, gewählt von den alteingesessenen Familien der Stadt, war der oberste Repräsentant. Er wurde aber streng kontrolliert, man öffnete seine Briefe, und er durfte die Stadt nicht verlassen. Dennoch hatte sein Wort Gewicht. Das Parlament oder Consiglio maggiore (»Großer Rat«) bestand aus Mitgliedern der Kaufmannsfamilien und hatte viele Rechte, und doch gab es noch die gefürchtete Gerichtsbarkeit, die aus drei Inquisitoren bestand und eigenmächtig Urteile fallen durfte – aber die Inquisitoren durften nur ein Jahr lang im Amt sein, taten also gut daran, klug und umsichtig zu agieren. Dann gab es noch die einflussreichen Prokuratoren, die sich um die Staatsfinanzen kümmerten, und die vielen Spione, die Republikfeinde im Zweifelsfall in einem der Kanäle dauerhaft entsorgten. Den Dogen wählte man stets im hohen Alter, um ihn im Zweifel schnell wieder los zu werden.

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Doge Marino Falier (Mitte, noch mit Kopf) hatte eine wirklich dumme Idee.

Der Doge Marino Falier, der eine erbliche Herrschaft errichten wollte, wie sie in anderen italienischen Stadtstaaten üblich war, hatte kein Glück mit seinem Vorhaben – man köpfte ihn vor dem Palazzo. Weitere Versuche aufmüpfiger Dogen unterblieben verständlicherweise. Der 1355 enthauptete Falier aber soll immer noch seinen Kopf suchen, und nachts hört man vor dem Dogenpalast sein leises Wimmern… 

Sehr empfehlenswertes Buch: Verborgenes Venedig von Thomas Jonglez.

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Hier gibt es noch mehr Geheimnisse. Besonders schön im Novembernebel zu lesen.

Wer noch tiefer in die Geheimnisse der Stadt eintauchen will, liegt mit meinen Romanen Der Spion des Dogen und Der Knochenraub von San Marco aber so was von goldrichtig. Hier gibt es Presse- und Leserstimmen. Teil 3, oben auf dem Bild noch in Manuskriptform, erscheint im Frühjahr 2019.

 

 

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