War er nun da oder war er nicht da? Ist er der berühmteste Reisende der Geschichte – oder einer der größten Schwindler, die je gelebt haben?
Marco Polo wurde 1254 in Venedig geboren und starb dort im Jahr 1324, nachdem er fast drei Jahrzehnte in China zugebracht hatte. Er galt als spinnerter Sonderling, und seine Geschichten über den geheimnisvollen Osten wollte niemand hören. Dabei war er zweifellos zu Wohlstand gelangt.
»Ich komme von weit her und habe euch einen Baby-Albino-Elefanten mitgebracht.«
Die Reise begann im Jahr 1271; Marco war gerade 17 Jahre alt und brach mit seinem Vater Niccolò und seinem Onkel Matteo auf. Faszinierendes Detail: Vater und Onkel waren gerade erst von einer ausgedehnten, fast zehnjährigen Orientreise zurückgekehrt. Die drei segelten zunächst von Venedig nach Akkon im heutigen Israel, dann schlugen sie den Landweg nach Nordosten über Anatolien und Armenien nach Täbris im heutigen Iran ein. Über Bagdad ging es an die Straße von Hormus, von wo aus sie eigentlich bis nach China segeln wollten. Doch als sie den beklagenswerten Zustand der dortigen Boote sahen, entschlossen sie sich, weiter über Land zu reisen.
Nach dreieinhalb Jahren Strapazen, Banditenüberfällen und Krankheiten erreichten Marco, Vater und Onkel schließlich Shangdu in China, die Sommerresidenz des Großkhans Kublai Khan, der über China herrschte.
Der Kublai Khan fand Gefallen an dem aufgeweckten Jungen und nahm ihn als Berater in seine Dienste. Mehr als 16 Jahre wurde Marco Polo quer durchs Land geschickt, etwa nach Bagan ins heutige Burma und nach Karakorum im Norden, der alten Hauptstadt der Mongolen. Sogar zum Präfekten soll er ernannt worden sein. Er sammelte auf diese Weise Eindrücke des Landes, dessen Inneres noch nie ein Europäer gesehen hatte. Möglicherweise war er auch in Japan.
Die Rückkehr auf dem Seeweg begann 1291 in Quanzhou mit einer Flottille aus 14 Dschunken und 600 Passagieren (siehe Karte). Am Ende der vierjährigen Reise sollten noch 17 Passagiere überleben. Die 500 Kilogramm Seide, die Marco Polo mit nach Europa führen wollte, wurden konfisziert, doch die Edelsteine, die er im Saum seiner Kleidung trug, blieben bis Venedig unentdeckt. Nach 24 Jahren kehrten sie 1295 in ihre Heimat zurück.
Dass wir überhaupt von Marco Polos Abenteuern wissen, ist mehreren erstaunlichen Zufällen zu verdanken. 1298 befehligte er im Krieg gegen den Erzrivalen aus Genua eine Galeere, wie es sich damals für wohlhabende Venezianer gehörte, und geriet in Kriegsgefangenschaft. Der Zufall wollte es, dass er ausgerechnet mit Rustichello da Pisa eine Zelle teilte, einem bekannten Autor von Ritterromanen. Ihm erzählte er in den acht Monaten der Haft von seinen Abenteuern, und Rustichello schrieb fleißig mit.
Und das ist schon einmal der erste Haken: Alles, was wir über die Reisen des Marco Polo wissen, erfahren wir aus zweiter Hand – und das ausgerechnet von einem fantasievollen Fabulierer erster Güteklasse.
»Seit der Erschaffung Adams erkundete und sah unter den Christen, Heiden, Sarazenen, Tataren oder anderen Völkern kein Mensch so wunderbare Dinge wie Marco Polo«, hielt da Pisa in seinem Werk »Il Milione« fest. »Il Milione« war Marcos Spitzname in Venedig. Unklar ist, ob er von seinem Reichtum oder seinem Hang zum Übertreiben herrührte.
Eine Route, die selbst heute nicht nur beschwerlich, sondern auch lebensgefährlich wäre. Fürs 13. Jahrhundert scheint sie nahezu unmöglich.
»Il Milione – die Wunder der Welt« verbreiteten sich innerhalb eines halben Jahres in ganz Europa – obwohl der Buchdruck noch gar nicht erfunden wurde und auch noch nicht einmal das Italienische (das kam erst 100 Jahre später durch Dante). Abschriften des franko-italienischen Urmanuskripts kursierten in Klöstern und an Fürstenhöfen. Es war, abgesehen von religiösen Schriften, der erste echte Bestseller der Weltliteratur. Noch heute sind 100 der ganz frühen Manuskripte erhalten, die teilweise mit fantasievollen Bildern geschmückt wurden, leider aber nicht mehr das Original. Die erste gedruckte Ausgabe, von der wir wissen, erschien 1477 in Nürnberg.
Sogar Christoph Kolumbus machte sich die Angaben des Buches zunutze, um die Länge des Seeweges nach Indien zu errechnen. Doch lange galt als umstritten, ob Marco Polo die Reise wirklich angetreten ist – beziehungsweise, ob sie wirklich so verlaufen ist, wie er es seinem Zellengenossen erzählte. Hatte er sich seine Eindrücke vielleicht aus Reiseerzählungen von Händlern zusammengeklaubt, die er auf der Seidenstraße traf? War es möglich, dass ein dahergelaufener Europäer der Vertraute des Großkhans wurde?
Warum erwähnte er nie die riesige Mauer oder die fremdartige Schrift oder den Tee oder den Brauch, den Frauen die Füße abzuschnüren? Warum schweigen sich auch chinesische Quellen über den Besuch und die Ernennung zum Berater und sogar zum Präfekten aus, der doch sicher für Aufsehen gesorgt hätte?
Es half wenig, dass Rustichello da Pisa die Geschichte mit Kannibalen und Einhörnern ausschmückte (möglicherweise waren Nashörner gemeint), oder mit Bäumen, von denen Nudeln wuchsen. Und den Einwohnern der Andamanen verpasste er Hundeköpfe. Und dann gab es ja auch noch die gigantischen Vögel, die Elefanten in die Luft hoben und zu Boden fallen ließen, um die zerschmetterten Kadaver zu verspeisen.
Im Jahr 1324, auf dem Totenbett, bedrängten die Priester den Venezianer, seinen vermeintlichen Lügengeschichten abzuschwören. Doch Marco Polo antwortete trotzig, dass er nur die Hälfte dessen, was er gesehen habe, erzählt hätte.
Und tatsächlich: Mittlerweile sehen Forscher die Reise als gesichert an. Die Beschreibungen des Salzmonopols, der daraus abgeleiteten Steuereinnahmen und des Papiergeldes muss Polo selbst vor Ort studiert haben, weil die Kenntnisse äußerst präzise sind. Außerdem fand man mittlerweile Quellen in Persien, die von den drei europäischen Gesandten berichteten. Und das Rätsel der unerwähnten Chinesischen Mauer? Sie spielte zu Zeiten des Kublai Khan nicht einmal in der dortigen Literatur eine große Rolle.
Zu guter Letzt untersuchte ein australischer Forscher die Rückreiseroute Marco Polos. Die teilweise monatelangen Aufenthalte in den vielen Häfen entsprachen den Bedingungen der Windzyklen des Monsuns. Marco Polo selbst hat von diesen Windzyklen nichts gewusst, erwähnt sie nicht in seinem Buch und kann sie auch nicht von irgendwoher übernommen haben. Erst mit den heutigen Kenntnissen können wir erschließen, dass die Windverhältnisse diese vielen Zwischenstopps zwangsläufig erforderlich gemacht hatten.
Marco Polo war ein begnadeter Erzähler, der es hier und da mit der Wirklichkeit nicht so genau nahm. Er fand in Rustichello da Pisa einen Gleichgesinnten, der die fabelhaften Erlebnisse noch zusätzlich ausschmückte. Zweifellos war Marco Polo aber auch ein großer Abenteurer – und tatsächlich der größte Reisende der Geschichte.
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Fotos: commons.wikimedia.org
[…] Ich weiß gar nicht, was da los ist, aber mein Text »Marco Polo und der erste Bestseller der Geschichte« wurde in den letzten Wochen ein paar tausend Mal angeklickt – läuft da irgendwo ein […]
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