Leute, das war ein Abenteuer.
Gestern bin ich 1350 Kilometer am Stück im Auto von Grado nach Rom und zurück gefahren.
Autobahn bei Arezzo. Die Verkehrsmeldungen waren kurz. (Alle Fotos: Beifahrer.)
Ich musste es tun: Ich reiste mit ausdrücklicher Anweisung des italienischen Außenministeriums und mit Genehmigung der Ordnungskräfte.
Aber dafür bin ich jetzt zwei Wochen in häuslicher Quarantäne.
Was war in meinem Wohlfühltempel los, und warum musste ich ihn verlassen?
Meine älteste Tochter, 17, war für ein Austauschjahr in England. (Ich nenne sie gern »zweitjüngste« Tochter, denn Töchter sind nicht »alt«.) Sie wollte das Jahr unbedingt dort zu Ende bringen, denn sie hatte eine tolle Familie und viele Freunde. Bloß schloss Boris Johnson dann doch die Schulen. Und das italienische Außenministerium verfügte die Rückholung aller Austauschschüler. Und schickte ein paar Alitalia-Maschinen zum Ausfliegen der jungen Landsleute nach London.
Die Flugzeuge landeten dann in Rom und in Mailand. Die Maschine meiner Tochter landete leider in Rom, nix zu machen. 675 Kilometer von Grado entfernt. In Rom wäre sie vorerst gestrandet, denn ein Zug, der sie wenigstens bis Venedig hätte bringen können, fuhr erst am nächsten Tag, und eine unbegleitete Minderjährige hätten wir ungern im Flughafen oder im Bahnhof übernachten lassen. Möglicherweise hätten wir uns sogar strafbar gemacht.
Was tun?
Das Dilemma, geografisch aufbereitet.
Wir fragten die Carabinieri. Ja, kein Problem, das Abholen einer minderjährigen Tochter sei ein hinreichender Grund, eine Reise anzutreten. Meine Frau rief, um sicherzugehen, sogar beim italienischen Außenministerium an. Und dort nahm sogar jemand ab. Und bestätigte uns erneut, dass wir unsere Tochter in Rom abholen müssten.
Klar, dass wir die 675 Kilometer an einem Stück würden fahren müssen – und auch sofort zurück müssten. Denn die Hotels sind ja auch geschlossen. Keine Frage: Wir wären lieber daheim geblieben. Aber diese Option hätte unsere Tocher wenig geholfen.
Wir badeten in Desinfektionsmittel und luden das Auto mit so viel Latex voll, dass jede Fetischparty neidisch geworden wäre. Wir befürchteten zudem Engpässe beim Benzin, und ob man eine missgelaunte Straßensperre mit dem Satz »Wir haben aber mit dem Außenministerium telefoniert!« wirklich beeindrucken würde?
Eine Fahrt durchs Krisengebiet
Wie sieht das Land also in der dritten Lockdown-Woche aus? Die Italiener sind außergewöhnlich diszipliniert, die Autobahnen waren die meiste Zeit nahezu autofrei.
Die LKW aber fuhren fleißig. Von »zusammenbrechenden Lieferketten« keine Spur. Und, ja, LKW-Fahrer sind wie Supermarktkassiererinnen die Helden unserer Tage. Dennoch können sie es nicht lassen, auf freier Strecke kurz vor dem herannahenden Auto doch noch auf die linke Spur zu ziehen und in aller Seelenruhe zu überholen. Aber okay, wir lagen gut in der Zeit.
Generell war die Fahrt über nahezu leere Autobahnen sehr angenehm. Bloß, dass uns auf der Horrorstrecke Bologna-Florenz quer über den Apennin heftiger Schneefall begrüßte, zusätzlich zu einem Wind, der einen gern mal quer über die Fahrspur schob.
Schnee vor Florenz. Alle LKW sind dieses Mal wirklich die Könige der Landstraße.
Auch die Autobahnraststätten funktionierten wie gewohnt, man konnte sogar den köstlichen Kaffee trinken, es gab Gebäck und belegte Brote. Allerdings durften nur vier Menschen zugleich rein. Und an der Bar wurde brav Abstand gehalten.
Wer mich und meine Texte kennt, der weiß, dass Flughäfen nicht mein natürliches Habitat sind, deswegen wusste ich gar nicht, dass der Flughafen in Rom »Leonardo da Vinci« heißt. Nun kenne ich mich zufällig ein kleines bisschen mit Leonardos Leben aus (Lesetipp: Walter Isaacsons Biografie), und mit Rom hatte er nie viel zu tun. »Kaiser-Augustus-Airport« klänge doch viel glorreicher!
Der Flughafen Rom wirkte dagegen wie eine Filmkulisse.
Überschaubarer Andrang: Parkplätze waren ausreichend vorhanden.
Dennoch starteten und landeten pro Stunde etwa 15 Maschinen. Es ist also noch gut was los, auch wenn zwei der drei Terminals geschlossen sind.
Nennt mich paranoid, aber der Landeanflug des Piktogramms ist mir etwas zu steil.
Jedenfalls ging alles glatt, der Flieger aus London hatte sogar Verfrühung (der heftige Westwind?), meine Tochter bestand den Fiebertest, und wir machten uns sofort auf den 675 Kilometer langen Rückweg.
Die Rückholaktion war erfolgreich.
Am Abend wurde es dann richtig leer.
Stunde elf am Steuer. Gut, dass es viel zu erzählen gab.
Wiedersehen nach sieben Monaten: Ihr könnt euch ja vorstellen, wie Luna reagiert hat.
Alles gut? Naja, fast. Meine Tochter muss, wie alle Italiener, die aus dem Ausland zurückkehren, für zwei Wochen in häusliche Quarantäne. Und weil wir sie abgeholt haben – es ging ja nicht anders! –, betrifft diese Regelung auch uns.
Was ändert sich? Nicht furchtbar viel, ich habe vorgesorgt:
Danke, lieber Kurierfahrer! Heute morgen kam der Lieblingswein.
Wir können jetzt zwei Wochen nicht mehr raus, müssen uns also die Einkäufe bringen lassen. Für den Hund haben wir einen Hundesitter besorgt. Und weil nächste Woche die neue Staffel Haus des Geldes beginnt, wird uns auch nicht langweilig. (Meine Töchter lieben diese Serie; ich finde sie ja etwas überdehnt.)
Meine Tochter macht das Schuljahr übrigens in England fertig – virtuell, wie derzeit so ziemlich alle Schüler weltweit.
Und nach sieben Monaten, in denen ich bei familieninternen Beschlüssen, etwa zum Abendessen oder einer neuen Netflix-Serie, immerhin eine Sperrminorität genoss, wiegt meine Stimme nun nur noch ein Viertel. Ich sehe wenig Chancen für meinen angedachten Bud-Spencer-und-Terrence-Hill-Marathon.
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