Mediterrane Wochenschau, Folge VII: Peggy Guggenheim und das Schicksalsspiel

Hier kommt der einzige Wochenrückblick, den es nicht interessiert, wer Deutscher Meister ist – Hauptsache, Eintracht Braunschweig steigt in die zweite Liga auf!

Samstag, 13.6.

I’ll be back, habe ich im März gesagt. Gesagt, getan. Ich habe die Familie ins Auto verfrachtet, und wir sind fürs Wochenende nach Venedig gefahren.

Gegen meinen eigenen Ratschlag, den ich immer wieder in die Welt hinausgeschrieben habe, fuhren wir nicht mit dem Zug. Denn der Zugfahrplan ist immer noch eingeschränkt. Also hielten wir es für eine gute Idee, das Auto zu nehmen.

Nun ja, das war keine gute Idee: Denn schon in Mestre blinkten elektronische Warntafeln: »Alle Parkplätze belegt« stand da. Selbst in charmantem Italienisch klang das wie eine schlechte Nachricht.

Meine Frau wäre nicht meine Frau, wenn sie nicht trotzdem mit italienischem Optimismus über den Damm bis zu den Parkhäusern auf der Piazzale Roma gefahren wäre. Und dann standen wir eine Dreiviertelstunde vor dem Parkhaus in der Schlange und warteten, dass ein Platz frei wurde. Das war uns nicht einmal in der Hochsaison passiert.

Was war denn hier los?

Ganz einfach: Weil der Zug- und Luftverkehr reduziert war, kamen fast alle Touristen und auch alle Pendler mit dem Auto.

Venedig war leerer als sonst. Aber viel voller, als ich dachte. Etwa die Hälfte der Restaurants ist bereits geöffnet, und geschätzt etwa 30 Prozent der Hotels. Fast alle berühmten Hotels haben allerdings noch geschlossen; als erstes öffnet das Belmond Cipriani am 19. Juni.

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Samstag Abend auf dem Markusplatz: So leer wird es wohl nie wieder sein.

Wir besuchten die Collezione Peggy Guggenheim. Das Museum der exzentrischen Dame ist ja eher ein Wohnhaus, und deswegen war es ein übles Geschiebe. An jeder Tür standen Museumsangestellte, die den Zugang zu den einzelnen Räumen regelten. Das Problem: Manche gingen ihrem Job völlig entspannt nach, manche andere legten eher eine Blockwart-Mentalität an den Tag, was zu Pfropfenbildung und Gehetze führte. Und so wurden wir in Zweier-, Vierer- und Fünfergruppen durch die Räume geschoben. Mit Kunstgenuss hatte das wenig zu tun. Dazu kamen die verpeilten Nervensägen unter den Besuchern, die sich nicht an die Regeln halten wollten und für noch mehr Konfusion sorgten. So ein richtiger Spaß wollte sich dabei nicht einstellen.

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Ein romantisches Wochenende: Nur du, ich und ein paar Linien.

Ich mache niemandem einen Vorwurf, die Situation ist neu für alle. Was ich sagen will: Wäre ich Risikogruppe, dann würde ich meinen Venedig-Urlaub in diesem Jahr noch genauer planen. Weit weg von Wochenenden und Brückentagen und überfüllten Museen.

Montag, 15.6.

Aber eines haben wir uns gegönnt – und es war für uns alle das erste Mal: eine nächtliche Gondelfahrt. Weil überhaupt kein Verkehr herrschte, war es wirklich ein magischer Moment. Der arme Gondoliere wollte eigentlich Feierabend machen wie alle seine Kollegen, doch ich erwischte ihn gerade noch. Also richtete er die Gondel wieder her (dauert immerhin eine Viertelstunde) und ruderte uns auf einer kleinen Runde durch die Nebenkanäle und dann in einem Schwenk auf den Canal Grande unter der Rialtobrücke hindurch.

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Der Moment, in dem ich den letzten Gondoliere des Abends erwischte. Armer Kerl!

Einmal klingelte sein Handy. Seine Frau war dran und fragte, wo er denn bleibe. Er sagte, er habe noch Kunden, und ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Aber meine Frau, realistisch wie immer, meinte: Die Gondolieri mussten drei Monate auf jegliche Einnahmen verzichten, wir tun also was Gutes für ihn.

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Die Erkenntnis eines langjährigen Venedig-Reisenden, der immer fürs Spazierengehen durch die Stadt plädiert hat: Venedig gehört eigentlich vom Wasser aus besichtigt. All die Fußwege, die wir Touristen zurücklegen, sind ja eher Behelfspfade. Die noblen Einlässe der Palazzi waren (und sind zum Teil noch) nur vom Wasser aus zu erreichen. Kurzum: Es ist, vom Wasser aus besichtigt, eine ganz andere Stadt.

Derzeit überlege ich, ob es für Touristen überhaupt möglich ist, Venedig selbst per Boot zu besichtigen. Den erforderlichen Führerschein hätte ich, vermute aber, dass es Sonderregelungen zumindest für die wichtigsten Wasserstraßen gibt. Was ich bislang erfahren habe: Der Canal Grande ist für uns gesperrt, und für die gesamte Lagune besteht eine Kennzeichnungspflicht; man muss also bei der Gemeinde Venedig ein temporäres Kennzeichen erwerben. Klingt nach großem bürokratischen Generve, aber möglicherweise ist es die Sache wert. Ich bleibe dran.

Außerdem habe ich den Tag genutzt, um mein Buch in seinem natürlichen Habitat zu fotografieren.

Es fehlt noch in eurem Bücherregal? Hier könnt ihr es bestellen.

Dienstag, 16.6.

Was mir aufgefallen ist: Die Stimmung unter den Venezianern war gelöst, entspannt, beinahe heiter. Klar, es war das erste »echte« touristische Wochenende, das Wetter war gut, niemand schob herum (außer im Guggenheim-Museum), die lärmenden Reisegruppen waren noch nicht da, die Kreuzfahrttouristen sowieso noch nicht. Die Urlauber, die kamen, waren aufrichtige Venedig-Fans, die der Stadt mit Respekt begegneten. Viele Italiener, einige Deutsche, Österreicher und Schweizer. Niemand aß auf den Stufen, niemand badete im Canal Grande.

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Venedig kann erstaunlich beschaulich sein.

Außerdem schicke ich immer meine Frau vor, die mit venezianischem Dialekt spricht und deswegen eine Vorzugsbehandlung bekommt. Dann ist das Lächeln der Verkäufer immer noch ein wenig strahlender. Unvergessen jener Tag vor ein paar Jahren, als wir in einer Schlange vor dem Parkhaus standen, fast so schlimm wie am Samstag, und plötzlich entdeckte Laura, dass einer der Parkeinweiser ihr alter Tenniskumpel war. Er winkte uns sofort aus der Schlange raus und wies und einen Platz zu. Ich liebe es, wenn Italien so funktioniert! Von da ab mussten wir nie mehr warten. Leider ist er inzwischen in Pension, und wir gelten im Stau wieder als gewöhnliche Sterbliche.

Mittwoch, 17.6.

Bitte alle sofort an den Kiosk! Oder in die Trafik! Oder in die Tabaccheria!

Denn es gibt ein neues Magazin zum dramatischsten Fußballspiel aller Zeiten. Genau heute jährt sich das Spiel zum fünfzigsten Mal, und ihr findet darin jede Menge toller Geschichten. Und auch einen Beitrag von mir. Denn es ist ja klar, dass ich das 4:3 hier vor Ort immer wieder fingerdick aufs Brot geschmiert bekomme.

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Übrigens: Die vier italienischen Torschützen sehen allesamt wie Filmstars unterschiedlicher Genres aus.

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Man kann ihnen nicht richtig böse sein.

Donnerstag, 18.6.

Heute muss ich euch von meinem Kumpel Julian erzählen. Julian kommt aus Argentinien und lebt seit fünfzehn Jahren in Grado. Er ist der Milchmann, beliefert mit seinem Kleinlaster die Restaurants und Hotels und Supermärkte. Er hat lange gespart und sich nun mit einem kleinen Restaurant selbständig gemacht. Das A Lè Cube eröffnete Anfang März – und exakt einen Tag später kam der große Lockdown. Schlimmer konnte es eigentlich nicht laufen.

Jetzt aber ist das Restaurant wieder offen. Julians Frau Silvia, ebenfalls Argentinierin, kümmert sich um die Gäste. Es gibt typische Gradeser Gerichte, aber auch ein paar argentinische Spezialitäten wie die von Silvia hausgemachten empanadas und Tomahawk-Steaks aus ihrer Heimat.

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Also, wenn ihr das nächste Mal in Grado seid: Das Essen ist köstlich. (Weitere Grado-Tipps stehen hier.) Und wenn ihr vorerst nicht nach Grado kommt, dann hinterlasst doch wenigstens ein »Gefällt mir« auf der Facebook-Seite.

Euch allen ein sonniges Wochenende!

Die nächste Wochenschau erscheint am 26. Juni.

Die vorherige Folge steht hier.

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