Mediterrane Wochenschau XVII: Glück und Unglück, Mortadella und Tortellini

Hier kommt der einzige Newsletter, der immer noch nicht ganz genau den Unterschied zwischen Brioche, Croissant und Cornetto begriffen hat.

Samstag, 22. August

Hui, wir sind bei der 17. Wochenschau angelangt, und genau die römische Schreibweise in meinem Titel ist der Grund dafür, dass in Italien die 17 die Unglückszahl ist und nicht die 13 wie in fast allen anderen Ländern.

Die meisten italienischen Hotels haben keine Zimmernummer 17, in Hochhäusern gibt es keine 17. Etage, bei der Fluggesellschaft Alitalia keine 17. Sitzreihe. Der französische Autohersteller Renault benannte sein Modell R17 für den italienischen Markt in R177 um. Der schlechte Ruf dieser Zahl liegt mehr als 2000 Jahre zurück, denn schon die alten Römer fürchteten die 17. Bei einer Umstellung von XVII ergibt sich VIXI, »ich habe gelebt« – also »ich bin tot«. Doch nicht nur dieses Anagramm ist für den schlechten Ruf der 17 verantwortlich: Es war ausgerechnet die 17. Legion von Quintilius Varus, die im Teutoburger Wald von Hermann dem Cherusker vernichtend geschlagen wurde.

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Quintilius Varus, von seinen Legionären heimlich auch »Gurkennase« genannt.
(Foto: Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz.)

Statt Freitag dem 13. ist in Italien der Unglückstag Freitag der 17. oder auch Dienstag der 17. »Né di venere né di marte non si sposa né si parte«, heißt es etwa im Dialekt des Veneto: Eine Reise darf also weder auf einem Freitag noch auf einem Dienstag beginnen oder enden, und auch geheiratet soll an beiden Tagen nicht. Freitag bringt generell Unglück, weil Jesus an einem Freitag gekreuzigt wurde, aber was hat der Dienstag verbrochen? Martedì ist im Italienischen (und auch in anderen romanischen Sprachen) nach dem Kriegsgott Mars benannt – und was wäre das für ein Omen für die Ehe?

Sonntag, 23. August

Thema Unglück (ja, gleich wird es heiterer): »Mögest du in interessanten Zeiten leben« war das Motto der venezianischen Kunstbiennale 2019. Dieses chinesische Sprichwort, dessen Herkunft nicht ganz klar ist, wird oft falsch gedeutet, als eine Art Segensspruch. Dabei ist es ein schrecklicher Fluch, denn niemand von uns soll in interessanten Zeiten leben wollen, in Zeiten, von denen uns die Geschichtsbücher in vielen hundert Jahren berichten. Nein, wir alle – und unsere Kinder und Kindeskinder – sollen in möglichst langweiligen, monotonen, gleichmäßig dahinplätschernden Zeiten leben, ohne Kriege, Pandemien und sonstige Katastrophen. Ohne all jene Ereignisse, die sich in den Geschichtsbüchern interessant lesen, aber bei denen man selbst lieber nicht dabei gewesen sein wäre.

Ist also die Biennale di Venezia an allem schuld?

Montag, 24. August

Jetzt wieder zu Grado und dem Freie-Oberkörper-Problem, das jeden Sommer erneut heftig diskutiert wird: Es gibt jede Menge Touristen, die überhaupt nichts dabei finden, mit freiem Oberkörper und Badeshorts oder im Bikini durch den Ort zu spazieren. Das finden die Gradeser ziemlich uncool und respektlos, und es ist ein Problem aller italienischen Badeorte. Rimini hat beispielsweise vor ein paar Jahren all jenen Touristen Geldstrafen angedroht, die in Badekleidung im Stadtgebiet bummeln gehen, auch Forte dei Marmi verhängt Bußgelder zwischen 25 und 500 Euro.

Da ich sehr genau hinschaue und -höre, kann ich erleichtert feststellen, dass es nicht nur Deutsche und Österreicher sind, die diesen Fauxpas begehen, sondern viele Osteuropäer, aber tatsächlich auch einige Italiener.

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Cooles Design eigentlich.

Das hat ja nichts mit Prüderie zu tun. Wer jetzt findet, im Urlaub solle man mal nicht so sein, sollte sich fragen, was er denn davon hielte, wenn in seinem Heimatort die Leute halbnackt und barfuß vor der eigenen Wohnung auf und ab flanierten. (Und, mal ganz ehrlich: Viele Leute sehen in Badekleidung nicht so furchtbar attraktiv aus.) Wie wäre es, morgens beim Bäcker auf den haarigen Rücken des vor einem Stehenden schauen zu müssen?

Natürlich hat die Kleiderordnung in den letzten Jahrzehnten ohnehin beständig gelitten. Alte Aufnahmen aus Fußballstadien zeigen Fans in Anzug, Krawatte und Hut. Okay, das ist vielleicht auch übertrieben, aber das andere Extrem – im Restaurant Flip-Flops und ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Bier formte diesen wunderschönen Körper« tragen – ist noch weniger erstrebenswert.

Ein Meister soll das letzte Wort haben: »Das Verschwinden des Schamgefühls ist das erste Anzeichen von Schwachsinn«, sagte Sigmund Freud.

Dienstag, 25. August

Ich fahre jetzt für zwei Tage nach Bologna in die Emilia-Romagna – nach Aquileia (für das Alpe Adria Magazin) und Südtirol (für den Feinschmecker) meine dritte große Reisegeschichte. Ja, der Lockdown hat auch uns Reisejournalisten wenig Freude bereitet.

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Back in Business. Endlich!

Ich weiß, ich weiß: Heul leise, Chantal. Wir hatten ja immerhin den Strand vor der Tür.

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Bologna von oben – die Stadt trägt wegen ihrer gehaltvollen Küche den würdigen Beinamen »La Grassa«, die Fette.

Mittwoch, 26. August

Schinken, Schweinefleisch, Käse, Nudeln: Die Emilia macht es einem leicht. Ihre Spezialitäten waren nie abgehoben, sondern auch Anfängern zugänglich. Der globale Siegeszug der italienischen Küche ist ganz wesentlich dieser Gegend und ihren Produkten geschuldet: Parmigiano und Parmaschinken, Tortellini und Ravioli, Lambrusco und Aceto Balsamico.

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»Für mich 20 Kilo zum Mitnehmen, danke.«

Und außerdem habe ich Stefano kennengelernt. »Du willst einen Artikel über die Emilia schreiben?« ruft er. »Ich gebe dir eine Überschrift: Die Region der 30 Töpfe. Geh in die ärmste Küche, die du hier finden kannst. Du wirst mindestens 30 Töpfe entdecken. Für Ostern oder Weihnachten beginnen hier alle einen Monat vorher zu kochen. Tortellini zum Beispiel – allein über die kannst du ein Buch schreiben.« Und es folgt ein ausführlicher Vortrag. Jedes Dorf, jede Provinz rühmt sich ihrer eigenen Tortellini. Tortellini in Richtung Parma werden mit feingehacktem Schwein gefüllt, rund um Modena wiederum eher mit Kochschinken oder Kalb, in Bologna mit Rind. Sowohl in Modena als auch in Bologna kommt auch gern die würzige salsiccia in die Nudeltasche, und in Reggio Emilia heißen die Tortellini Cappelletti, sind eher klein und werden in einer Fleischbrühe gegessen, in Piacenza nennt man sie Anolini, und sie werden meist mit einer Füllung aus Rind (früher war es oft Pferd), Grana Padano und Muskat serviert. »Zu Weihnachten kommen bei uns zwölf verschiedene Tortellini-Variationen auf den Tisch«, erklärt Stefano stolz.

Ich will damit sagen: Ja, hier lässt es sich sehr, sehr gut essen. Alles Weitere steht im nächsten Golf Journal. Das dann verwirrenderweise Golf Magazin heißen wird, aber wir alle werden uns schon daran gewöhnen.

Donnerstag, 27. August

Leute, eine große Bitte: Wählt mich! Nachdem ich seit zwanzig Jahren über Italien schreibe, habe ich jetzt zum ersten Mal beim Journalistenpreis des Italienischen Fremdenverkehrsamts mitgemacht. Drei meiner Online-Artikel stehen zur Auswahl; ich schlage vor, wir bündeln unsere Anstrengungen auf »Warum schmeckt es hier eigentlich so gut?« Hier geht es zur Abstimmung.

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Mehr gibt es auf der Seite enit.de zu sehen. Hier ist das Voting.

Und weil ihr in den anderen beiden Kategorien »Foto« und »Online-Magazin« auch abstimmen müsst – votiert doch beim Online-Magazin für den von mir geschätzten Kollegen Tim Schweiker, und beim Foto macht euren Klick einfach irgendwo.

Tausend Dank!

Freitag, 28. August

Unnützes Wissen der Woche: Albert Einstein sprach im Sterbebett kurz vor seinem Tod noch einige Worte. Doch die Krankenschwester, die gerade Dienst hatte, verstand kein Deutsch. Deswegen werden wir nie erfahren, was er gesagt hat.

Das hat nichts mit Italien zu tun, aber dafür kommt hier jede Menge Stoff aus dem Stiefel:

Meine Lieblingshotels? Für eine kleine herbstliche Flucht? Soeben aktualisiert – hier entlang.

Und wenn ihr alles über Venedig wissen wollt, habe ich hier einen Überblick angelegt: Tipps für jedes Budget, Hotels, Restaurants, Bars… Sogar ein paar waschechte Geheimtipps sind dabei, versprochen!

Aktuelle Entwicklungen in Italien (Grenzen, Masken etc.) stehen hier.

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Zur vorigen Wochenschau geht es hier entlang.

Tipps für Grado gibt es hier.

Den idealen Lesestoff für die Liege, ob mit Meer- oder Bergblick, findet ihr hier.

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Die nächste Wochenschau erscheint am 4. September, bis dahin euch allen eine sonnige Zeit!