»Trinkbarkeit vor Exzess!« Hendrik Thoma über große und kleine Weine

Er ist nicht nur einer der renommiertesten, sondern auch einer der unterhaltsamsten deutschen Weinexperten: Hendrik Thoma begann seine Karriere als Koch, dann wurde er Sommelier und arbeitete lange im Hamburger Hotel Louis C. Jacob. Nach fünfjähriger Vorbereitungszeit bestand er 1999 die Prüfung zum Master Sommelier. Es ist die härteste Prüfung in der kulinarischen Welt überhaupt – derzeit gibt es nur fünf Master Sommeliers in Deutschland.

Er schreibt wie ich für den Feinschmecker, aber das ist nicht alles: Sein Portal Wein am Limit ist wohl einmalig in der Weinwelt. So verkostet er Wein in amüsanten, lehrreichen Videos (er ist derzeit bei Folge 439!), oft sind Prominente zu Gast, er betreibt ein Online-Magazin mit langen, guten, tiefgründigen Artikeln, er gibt einen Newsletter heraus, und vor allem betreibt er einen Weinhandel mit ausgewählten Produzenten aus aller Welt.

Kurzum: Hendrik bietet einen No-Bullshit-Zugang zum Wein – und hat das nötige Fachwissen im Kreuz.

Fangen wir gleich mit einer einfachen, aber sauschwierigen Frage an: Was macht eigentlich einen guten Wein aus?
Ich liebe einfache Antworten auf schwierige Fragen. Es ist simpler als man glaubt. Er muss einem schmecken.

Wird über Wein generell zu viel geredet?
Beim Wein ist es wie mit dem Fußball, Corona und der Politik. Es laufen viele Experten rum und machen das Thema komplizierter, als es ist. Wenn mir etwas zu viel wird, dann klicke ich es weg oder schalte ab. Besonders allergisch reagiere ich, wenn man von mir die Absolution haben will, etwa dass der Discounter-Stoff genauso oder besser schmeckt als wirkliche Spitzenweine. Tut er nicht und kann er aufgrund seiner Herstellungsweise auch nicht, auch wenn das Geschmacksache ist. Bei den Lebensmitteln haben das mehr Menschen verstanden. Beim Wein sind wir gefühlt noch in der Steinzeit.

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Gibt es wirklich gute Weine auch beim Discounter? Hendrik kennt die Antwort.

Wieviele Menschen auf der Welt können einen Pétrus 1990 von einem Pétrus 1991 unterscheiden?
Wenn es pro Jahr 30.000 Flaschen gibt und es großzügig gerechnet 25 Prozent der Käufer können, dann wären wir bei 7.500 Menschen auf der Welt. Ich persönlich glaube, es sind noch weniger. Viel wichtiger ist aber die Frage, ob sie den Wein genießen können. Denn die Frage nach dem echten Genuss finde ich zielführender als diese ganze Rechthaberei, welchen Jahrgang ich im Glas habe.

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Das ist »Bär«. Er bewacht das Weingut Candialle in der Toskana.

Gab es ein besonderes Erlebnis, das dich zum Weinliebhaber gemacht hat, oder war es ein langsamer Prozess?
Es gab viele aufregende Momente, aber das Eis war gebrochen bei meiner ersten wirklich großen Flasche Wein. Ich war jung, konnte ihn mir nicht leisten, habe trotzdem ein Glas 1985-er Sassicaia spendiert bekommen. Der Anfang einer wunderbaren Reise.

Das Verrückteste, was dir als Sommelier oder als Händler je passiert ist?
Die ganze Weinbranche ist ein Kuriosum. Ich kann jeden Tag lachen. Es ist halt sehr menschlich – und jeher höher der Grad der Besessenheit, umso bizarrer wird es.

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Hendriks hanseatische Seriosität ist legendär.

Mit welcher Rebsorte kannst du gar nichts anfangen? War da nicht mal echtes Beef mit Grauburgunder?
Der Grauburgunder hat mir gar nichts getan, im Gegenteil, es gibt wunderbare Grauburgunder, aber die Haltung hierzulande und die allgemeine Arroganz drumherum – die verstören mich. Man kann Mittelmaß oder Banales nicht als Spitzenklasse abfeiern. Da habe ich eine Linie gezogen. Jeder kann und soll das trinken, was er will. Deswegen gibt es wohl auch so viel Primitivo.
Generell finde ich Anspruchsdenken nicht verkehrt, im Gegenteil: Dadurch wird Haltung und Qualität definiert. Ich mag eigentlich alle Sorten, denn aus jeder lässt sich etwas Tolles machen, egal ob Dornfelder, Portugieser oder Müller-Thurgau.

Welche Weinregion hältst du für überschätzt, und welche lohnt die Entdeckung?
Es ist kein Geheimnis: Ich finde Portugal als Weinland sehr interessant. Dieses ganze Rumgelabere und die Vorbehalte gegenüber Überseeweinen finde ich anstrengend. Überall auf der Welt gibt es was zu entdecken, man muss sich nur bücken. Das ist der Job eines Sommeliers, genauso wie der eines Weinhändlers und am Ende auch des Kunden, der nicht einfach nur ins Regal greift.

Wird Corona die Weinwelt verändern?
Sie nimmt die Nähe und Persönlichkeit raus, leider. An gewissen Stellen ist es gut, denn der analoge Overload der letzten Jahre war teilweise anstrengend und umweltbelastend. Ich finde, die Digitalisierung bietet viele Chancen, die leider nicht jeder begreift. Auch im Netz kann es persönlich und emphatisch zugehen. Wenn ich mir etwas wünsche, was aus Corona hervorgeht: mehr Wertschätzung für persönliche Leistungen, weniger Neid.

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Insider wissen: Die Flasche blieb nicht lange verschlossen.

Auch Weine sind Moden unterworfen: Was ist gerade modern, was vor zehn, 15 Jahren kein Mensch getrunken hat?
Ich denke, mit unserem Sortiment bei »Wein am Limit« sind wir dem deutschen Markt fünf bis zehn Jahre voraus, aber wir werden langsam eingeholt. Das dauert und ist in einen globalen Prozess eingebunden. Die Richtung Trinkbarkeit vor Exzess ist die Antwort auf die vielen Mutantenweine der 1990-er und 2000-er Jahre. Auf alle Fälle sind die Menschen neugierig geblieben, durch die Reisen und das Internet aufgeklärter und experimentieren mehr.

Ist der Ruf des Chardonnay zu Unrecht ruiniert?
Es ist meine Lieblingsweißweintraube mit enormer Fallhöhe in beide Richtungen.

Träumst du von einem eigenen Weingut?
Ich träume gerne von Ruhe und Gelassenheit.  Das Klischee kann ein Weingut nicht bedienen. Das ist harte Arbeit, die nie aufhört.

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Er kann auch verführerisch!

Ein arabisches Sprichwort lautet: »Frage nie einen Friseur, ob du einen Haarschnitt brauchst.« Aber wenn man schon mit einem renommierten Weinhändler plaudert: Fünf besondere Weine aus deinem Sortiment, die jeder von uns probieren sollte?
Gern: Der Theodora von Gut Oggau vom Neusiedlersee. Der Chardonnay Cuvée Metis Blanc aus Kanada. Der Palladius aus Südafrika. Der Bussaco Tinto Reservado aus Portugal. Und schließlich der Pinot Noir Baw Baw Shire aus Australien.

Ah, Pinot Noir, mein Lieblingswein… Aber jetzt zu einer betrüblichen Nachricht: Tut mir leid, du wurdest zum Tode verurteilt. Das Urteil wird morgen früh vollstreckt. Welche Flasche Wein machst du dir heute Abend auf?
Auch das noch… Back to the roots, noch einmal zurück zu meinem ersten großen Wein, dem 1985-er Sassicaia. Der ist immer noch in Form. Ich wünschte mir, dass ich so knackig wäre.

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