Versprochen: Ihr werdet in ein paar Minuten sehr hungrig sein. Nur, dass ihr nicht behauptet, es hätte euch keiner gewarnt. Hier kommen ein paar venezianische Spezialitäten. Dazu gibt es eine kleine Ladenliste für den Vor-Ort-Einkauf.
Cicchetti
Gesprochen tschi-ketti. Kleine Happen, die spanischen Tapas ähneln und zum Aperitivo gegessen werden. Je nach Lokal gibt es frittierte Tintenfische, Fleischbällchen und Pilze, außerdem kleine belegte Brote, Oliven, Kapern und Nüsse. Traditionell gehören dazu aber auch barbussai (Kalbshirn), nervetti (weichgekochte Sehnen) und spienza (Milz).
Cicchetti im neuen Restaurant »Dopolavoro« auf der Isola delle Rose.
Baccalà
Ganz Venedig ist vernarrt in eine typisch nordische Spezialität – den Stockfisch. Und das kam so: 1431 war der Kapitän Piero Quirini von Kreta aus in See gestochen, seine Kogge und die Beiboote randvoll mit orientalischen Preziosen. Das Ziel war Flandern, doch die Reise verlief katastrophal: Nach heftigen Unwettern musste im Atlantik das Hauptschiff aufgegeben werden, Quirini und seine Männer retteten sich in die Beiboote. Nach zwanzig Tagen hilflos auf der hohen See strandeten sie auf den Klippen einer unbewohnten Insel im Nordatlantik; erst einen Monat später wurden sie von Fischern aufgelesen. Die Insel der Fischer hieß Røest und gehörte zur Lofoten-Gruppe. Drei Monate lang pflegten die Insulaner die Venezianer, bis sie im Mai 1432 die Reise gen Heimat antreten konnten. Bei ihrem Aufenthalt hatten sie die Stockfisch-Technik gelernt, über die Quirini für den Großen Rat berichtete: »Nichts hält sie am Leben außer der Fischfang. Die Insulaner fangen täglich eine unvergleichliche Menge Fisch, vor allem zweier Typologien. Der eine heißt stocfisi, der andere ist eine Schollenart von beneidenswerter Größe. Die stocfisi trocknen im Wind und in der Sonne ohne Salz, und weil sie Fische ohne Fett und Feuchtigkeit sind, werden sie hart wie Holz. Wenn die Inselbewohner sie essen wollen, schlagen sie sie mit dem Pfannenboden in winzig kleine Stücke, dann geben sie Gewürze hinzu, um das Gericht schmackhaft zu machen.«
Alles Gute aus dem Norden: Baccalà, hier noch in der Heimat. (Das Foto ist so irre, dass ich es einfach nehmen musste – besser als ein zubereiteter Baccalà, der in seiner sahneweißen Masse nicht vernünftig zu fotografieren ist.)
Küchentechnisch gibt es einen kleinen Unterschied zwischen Stockfisch und Baccalà, aber der wäre einen eigenen Artikel wert. Wichtig für unseren Hunger ist, dass es in Venedig vor allem baccalà mantecato oder baccalà fritto gibt, also frittiert oder, im ersten Fall, 24 Stunden in Wasser eingeweicht, danach in Milch, Öl und Knoblauch gekocht und mit Salz, Pfeffer und Petersilie gewürzt. Daraus entsteht eine köstliche Paste, die gern auf einem Stück geröstetem Brot gereicht wird.
Moeche
Sie heißen auch »Chips des Dogen«: Die hohen Herren der Serenissima aßenam liebsten frisch gehäutete Krebse mit noch weichem neuem Panzer, im Ganzen frittiert. Klingt komisch, auch der Anblick in der Pfanne ist gewöhnungsbedürftig; die moeche(gesprochen mo-ekke) schmecken aber hervorragend. Sie kosten bis zu 80 Euro das Kilo, und es gibt sie nur im Frühjahr rund um die Karnevalszeit und im Spätherbst – genau dann, wenn sie eine Häutung hinter sich haben und daher zum Verzehr geeignet sind. An einem ausgehärteten Panzer würde man sich ja auch die Zähne ausbeißen. Sie gelten als vollwertige Mahlzeit, allenfalls ein wenig Polenta wird dazu gereicht
Gewöhnungsbedürftig. Teuer. Köstlich.
Sprizz
Zu den moeche passt ein Weißwein, der in Venedig auch gern mit Sprudelwasser zum Sprizz wird. Angeblich hatten österreichische Besatzungssoldaten diesen Brauch eingeführt, um dem Wein die Wirkung zu nehmen und zumindest bedingt einsatzbereit zu bleiben. Das deutsche Wort lieferten sie gleich mit.
Sarde in saor
Wie machte man früher, als es noch keine Kühlschränke gab, Fisch haltbar? Man legte ihn in Essig ein. Daraus entwickelte sich das klassische venezianische Antipasto, von dem es verschiedene Varianten gibt. Die Rezepte für den kleinen Fisch sind überraschend kompliziert; allen ist gemeinsam, dass man das Ganze mindestens einen Tag lang ziehen lassen sollte. Uns Hungrigen reicht zu wissen: Neben den Sarden sind weiße Zwiebeln, Weißweinessig, Lorbeer, Pinienkerne, etwas Salz und auch Zucker, rosa Pfeffer und Rosinen dabei.
Kleine, feine Biester: Sie dürfen in Venedig nirgends fehlen.
Fegato alla veneziana
Die Kalbsleber mit Zwiebeln und Polenta ist in ganz Italien bekannt. Warum gab die Stadt dem Gericht den Namen? Überall sonst wird die Leber gern mit Feigen gegessen, doch die Venezianer nahmen lieber die Zwiebeln aus Chioggia. Schon im Jahr 1790 berichtete eine Rezeptsammlung des römischen Kochs Francesco Leonardi anerkennend von der Variante »alla veneziana«.
Cotechino
Noch eine deftige Spezialität, allerdings eher von der venezianischen terraferma. Die gewaltige Rohwurst aus Schweinefleisch wird bis zu drei Stunden im Wasser schonend gegart, dann in Streifen geschnitten und mit Polenta und Linsen serviert. Es ist ein typisches Silvestergericht, denn die Linsen, die kleinen Geldstücken ähneln, bringen Glück: Je mehr ihr davon verdrückt, desto reicher werdet ihr im nächsten Jahr.
Bovoletti
Im Dialekt auch bovoetti – kleine Schnecken, die mitsamt Gehäuse in einem Sud aus Olivenöl, Knoblauch, Petersilie zubereitet und mit Salz und Pfeffer gewürzt werden. Im Gegensatz zu den moeche wird das Gehäuse nicht mitgegessen, denn dazu bräuchte man die Bisskraft des Terminators. Es werden Zahnstocher (stuzzicadenti) gereicht, um das Herausholen des Weichkörpers zu erleichtern.
Das sind keine bovoletti. Aber ein Foto von Nudeln mit Meeresfrüchten ist ja auch sexy.
Schokolade
Die venezianischen Kaufleute haben sich nie viel aus Kaffee gemacht. Sie setzten stattdessen auf die Schokolade, so dass die Konditorkunst in Venedig auf eine jahrhundertealte Tradition stolz sein darf. Noch heute gibt es selbstgemachte Schokolade unter anderem in der »Cioccolateria Dal Mas«. Sie ist der älteste Süßwarenladen Venedigs, in Cannaregio zwischen Bahnhof und Rialtobrücke gelegen. Im »Vizio Virtù« in Castello verspricht Konditormeisterin Mariangela »Schokolade ohne Tabus«. Sie kreiert neben allerlei Pralinen Schokolade mit Pfeffer- oder Ingwergeschmack. Zur Eröffnung kam sogar die französische Schauspielerin Juliette Binoche (»Chocolat«).
Köstlichkeiten stapelweise im Vizio Virtù.
Weitere Shopping-Tipps für Schlemmerer
Bottiglieria Colonna
Die besten Weine und Proseccos aus dem Veneto und ganz Italien, eher von kleinen als von großen Erzeugern; es gibt auch Hochprozentigeres wie Grappa. Castello, Calle della Fava, Sonntag geschlossen
Casa del Parmigiano
Direkt am Fischmarkt und neben der Bar Al Mercà liegt das verführerisch duftende Käsegeschäft. Viel Tradition (seit 1936), famose Auswahl, kompetente Bedienung. San Polo, Campo Bella Vienna, Sonntag geschlossen
Knapp dran vorbei fotografiert, aber das Al Mercà ist auch sehr nett!
AMO
Die Umwandlung des Fondaco dei Tedeschi an der Rialtobrücke in ein Luxuskaufhaus ist umstritten. Kein Zweifel aber gibt es über die kulinarischen Qualitäten der Alajmo-Brüder aus Padua, die im Erdgeschoss das Bistro »AMO« und ein Geschäft mit ihren hausgemachten Spezialitäten vertreiben.
Fondaco dei Tedeschi, San Marco
Kleines Pre-Dessert von Großmeister Massimiliano Alajmo.
Gelateria Nico
Italien ohne Eis wäre wie Venedig ohne Gondeln. Gerade eine anstrengende fußläufige Stadterkundung verlangt anschließend nach einer Belohnung. Und wo gibt es das beste Eis? Natürlich bei Nico an den Zattere. Im Jahr 1935 begann Giovanni »Nico« Causin, die Venezianer und die Touristen mit seinen gefrorenen Erfrischungen zu versorgen, und bis heute stehen die Menschen bei den aktuellen Besitzern Maurizio und Walter Schlange; selbst Stars wie Angelina Jolie warten geduldig.
Dorsoduro, Fondamenta Zattere al Ponte Longo
Giacomo Rizzo
Dieses Feinkostgeschäft ist ein Paradies für Nudelliebhaber: Pasta in allen Formen, Farben und Geschmacksrichtungen, und das seit 1905. Wie wäre es etwa mit Nudeln in Gondelform? Jenseits dieser eher kitschigen Mitbringsel ist das Pastificio aber die erste Adresse für selbstgemachte Pasta, ob mit oder ohne Ei im Teig, mit oder ohne Füllung.
Cannaregio, Calle San Giovanni Grisostomo
Al Volto
Eine der bestsortierten Weinbars Venedigs: Der Gast kann aus 1300 Positionen wählen. Außerdem gibt es eine große Auswahl an ungewöhnlichen Bieren, etwa das Tennent’s Oak Aged, das in Whiskyfässern heranreift. Wer nicht nur einkaufen, sondern verweilen will: kleine, aber feine Speisekarte mit Gerichten wie dem tris di baccalà mit Polenta.
San Marco, Calle Cavalli, Donnerstag geschlossen
Volpe
Immer der Nase nach, denn der Duft, der aus dem Laden strömt, ist verführerisch! Bäckerei und kleiner Supermarkt im jüdischen Viertel mit überbordenden Auslagen, die Appetit machen, etwa auf das vorzügliche Mandelgebäck empade oder die Nocchiata mit Nüssen, Mandeln und Honig.
Cannaregio, Sottoportego del Ghetto Vecchio (gleich am Eingang zum Ghetto links), Samstag geschlossen
Ausflugstipp: der Fischmarkt
Markusplatz, Dogenpalast, Campanile, Canal Grande: alles fein. Aber für Genießer kann die Hauptattraktion Venedigs nur der Rialto-Fischmarkt sein. Riesige Thunfische, gewaltige Schwertfische, Tintenfische, Krebse, Hummer, Seespinnen – die ganze überbordende Pracht des Meeres wird hier verkauft. Der Mercato del Pesce zwischen Rialtobrücke und Fondaco dei Turchi ist einer der größten Märkte für Fische und Meeresfrüchte in Italien. Schon ab 6 Uhr morgens öffnen die Stände. Die vorgeschriebene Mindestgröße der Meerestiere ist für alle sichtbar in Stein gemeißelt.
Seit 800 Jahren an Ort und Stelle: der Fischmarkt.
Mehr Lust auf Venedig?
Gut so!
Hier gibt es die 10 charmantesten Hotels der Stadt.
Hier kommen 18 Restaurants, in denen ihr alles oben Genannte testen könnt – ob gehoben, authentisch oder ungewöhnlich.
HALLOWEEN-SPECIAL MIT DREI AUSRUFEZEICHEN!!! Hier lest ihr alles über die gruseligsten Gruselgeschichten der Lagune.
Hier kommen 12 Geheimtipps.
Und die passenden Bücher für die Reise – ich muss das einfach erwähnen – gibt es hier.
Fotos: Laura Puggina, Elisabetta Maiwald, Stefan Maiwald (ist sich selbst einen Fotocredit zu geben so fragwürdig wie sein eigenes Zeug zu liken?); Dèsirèe Tonus (sarde in saor), Buauro, Italo (baccalà) – Creative Commons.